
Chris Argyris, ein Doyen der klassischen Organisationspsychologie hat ein Konzept entwickelt, das uns hilft, echte Kompetenz von falscher (Schein-)Kompetenz in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu unterscheiden. Letztere nennt er „befähigte Inkompetenz„: Man hat etwas gelernt, in der Absicht, die Dinge zu verbessern. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Kommunikative Kompetenz
Was macht Kommunikation wertvoll? Was ist echte („befähigte“) Kompetenz. Mehrere Beiträge haben sich schon mit zentralen Kompetenzen der Kommunikation beschäftigt.
- Ein Beitrag zeigt, wie wichtig offene Kommunikation für Führungskräfte ist.
- Das Abilene Paradoxon zeigt, wie schädlich es sein kann, wenn man in Kommunikations-Prozessen mit der eigenen Meinung hinter dem Berg hält und aus vermeintlicher Rücksicht oder Höflichkeit falsche Zustimmung gibt.
- Ein zentraler Punkt ist die Fähigkeit zur Empathie und wertschätzender Kommunikation. Schon Carl Rogers, der Altvater der empathischen Kommunikation, Beratung und Psychotherapie (personen-zentrierte Kommunkation) und sein wissenschaftlicher Schüler Thomas Gordon (Win-win-Kommunikation) haben uns das gelehrt und unzählige Studien haben es bestätigt.

Aber es gilt auch die Kommunikations-Sünden aufzuzeigen, vor allem die Schädlichkeit abwertender, verletzender Kommunikation. Dazu die Beiträge
- Die Apokalyptischen Reiter der Kommunikation.
- Abwertungen vergiften Beziehungen.
- Dysphemismen: Sprachliche Ausdrücke mit Abwertungen.
Kommunikative Kompetenz zeigt sich vor allem in vielen privaten und betrieblichen Situationen, in Konflikten, bei Rückmeldungen, in Beziehungen, …
So gilt es,
- Konflikte offen anzusprechen und gleichzeitig professionell, d. h. nicht aggressiv zu kommunizieren.
- positive Beziehungen im Unternehmen aufzubauen.
- Balance in Beziehungen im Gleichgewicht zu halten (John Gottman).
- Feedback. nicht zu vernachlässigen und zu verbessern.
Andere Beiträge drücken das gleiche Prinzip aus der Perspektive der Beziehungen aus und betonen die Wichtigkeit der Wertschätzung in Beziehungen
Weiters wurde im Zusammenhang mit Konflikten besprochen, wie wichtig es ist,
Das Problem der höflichen Kommunikation.

Zusammenfassend können
- Wertschätzung und
- Offenheit
als zentrale Qualitäts-Kriterien für Kommunikation betrachtet werden.
Wie aber sieht das mit Höflichkeit aus? Natürlich ist ein gewisses Maß an Höflichkeit in der Kommunikation als sinnvoll angesehen werden. Höflichkeit kann jedoch unterschiedliche Qualität haben, sie ist ambivalent.
- Wertschätzende Höflichkeit ist wichtig.
- Vermeidende (‚friedhöfliche‘ Fassaden-)Höflichkeit ist schädlich.
Man könnte daraus ein Werte-Quadrat machen:
- Wertschätzung – Offenheit auf der positiven Seite und
- direkte Konfrontation – Vermeidung auf der negativen Seite.
Wertschätzung ohne Offenheit kann zu nichtssagender Fassaden-Höflichkeit werden. Offenheit ohne Wertschätzung kann zu verletzenden Konfrontation werden.1
Chris Argyris nennt die negative Seite der Wertschätzung / Freundlichkeit eine „befähigte Inkompetenz“ und bringt dazu ein Beispiel:
„Betrachten wir folgende Situation: Der Gründer und Inhaber eines schnell wachsenden mittelständischen Betriebes setzte sich mit seinen tüchtigen, engagierten, hart arbeitenden Führungskräften zusammen, um einen neuen Strategieplan zu entwickeln. Der Betrieb hatte eine jährliche Wachstumsrate von 45 Prozent. Der Unternehmer befürchtete, die rasche Expansion könne schwerwiegende organisatorische Probleme aufwerfen, und hatte deswegen begonnen, seine Strategie zu überdenken. Er wollte im Unternehmen, das bisher recht spontan geführt worden war, strengere Richtlinien einführen. Seiner Meinung nach gab es im Betrieb zwei verfeindete Fraktionen – den Verkauf und den Kundendienst, die entgegengesetzte Vorstellungen über das Leistungsprogramm des Unternehmens hatten: Sollten Standardprodukte oder maßgeschneiderte Kundenlösungen angeboten werden? Der Chef wollte endlich einen Konsens zwischen diesen beiden Gruppen. Seine engsten Mitarbeiter teilten die Meinung, dass ein Konzept entwickelt und Grundsatzentscheidungen getroffen werden müssten. Sie befassten sich mit diesem Thema auf mehreren langen Sitzungen. Diese Konferenzen verliefen zwar recht angenehm und keiner legte es darauf an, jemandem auf die Füße zu treten, aber sie endeten jedes Mal ohne Übereinkunft. „Wir scheinen immer nur Fragen zu sammeln, aber keine Entschlüsse zu treffen“, meinte ein Direktor. Ein anderer fügte hinzu: „Das ist ganz schön entmutigend, wenn das bei jeder Sitzung passiert.“ Und ein dritter Manager gab zu bedenken: „Wenn ihr meint, wir seien entmutigt, dann denkt doch mal daran, wie sich unsere Mitarbeiter fühlen müssen, wenn sie erleben, wie wir wiederholt versagen.“ Obwohl diese Führungskräfte sich gegenseitig respektieren, hoch motiviert sind und die Meinung teilen, dass die Entwicklung einer Strategie lebensnotwendig ist, misslingt es ihnen bei allen Besprechungen, ein gemeinsames Konzept zu finden. Was passiert da?“2
Worum geht es? – Befähigte Inkompetenz
Fragt man Führungskräfte nach ihren zentralen Herausforderungen, so hört man Antworten wie z. B.
- Wir haben noch keine Lösung, ob wir maßgeschneiderte Problemlösungen oder Standardprodukte anbieten wollen.
- Wir haben einen Konflikte zwischen Sales und Customer Service.
- …
Aber: das sind vordergründige Probleme („single loop problems“3)
Das eigentliche Problem ist das dahinter stehende Muster („double loop problem„), das Problem, („fried-)höflich miteinander zu kommunizieren ohne zu Lösungen / Vereinbarungen zu kommen. Warum kommt man zu keinen Lösungen? Weil niemand die Karten auf den Tisch legt, weil nicht offen kommuniziert wird und der Chef es zulässt, dass ohne Lösung das Team wieder auseinander geht. Es ist die gelernte / befähigte Inkompetenz, höflich und zurückhaltend zu kommunizieren, damit niemand verletzt wird – oft in der vermeintlichen Annahme, dass die anderen dies erwarten („Abilene Paradoxon„). Diese Muster führen, basieren auf konfliktvermeidender Höflichkeit und, wie Argyris zeigt, zu Misstrauen. Die guten Absichten verkehren sich ins Gegenteil. (Das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“.)
„Höflichkeit gilt vielen Managern als Tugend. Sie sind stolz auf ihre Fähigkeit, Konflikte zu vermeiden. Mit den besten Absichten versuchen sie, die Gefühle anderer nicht zu verletzen. Dadurch wird aber ein Vorzug in einen Nachteil verwandelt. Wenn Manager weder offen reden noch wichtige Fakten auf den Tisch legen, treffen sie keine effektiven Entscheidungen. Wenn Misstrauen sich ausbreitet, weil die Offenheit verloren geht, leidet die Kommunikation und mit ihr das Unternehmen.“2
Höflichkeit hatte – laut Argyris – ursprünglich die gute Absicht, der Verrohung durch den Krieg durch Benimm-Regeln am Hof – der Höflichkeit – entgegenzuwirken. (Offizielle) Mätressen war oft die Wächterinnen der Regeln und hatten einen hohen Rang am Hof. Sie konnten aber leicht in Ungnade fallen.5
Das (negative) Gegenstück: Aggressive (toxische) Ehrlichkeit
Die zurückhaltende, leblose ‚Fried-Höflichkeit‘ wirkt kontraproduktiv und krankmachend – normopathisch. Das positive Gegenstück zur Fried-Höflichkeit könnte man als „authentische Freundlichkeit“ bezeichnen, das negative Gegenstück die „aggressive Ehrlichkeit„. Manche Menschen tarnen ihre aggressiven Impulse als ‚Ehrlichkeit‘. Sie behaupten von sich „ich bin halt direkt und ehrlich“, in Wahrheit suchen – oft unbewusst – nur eine Gelegenheit, ihr aggressiven Impulse auszudrücken. Da sie nicht zu diesen Impulsen bzw. Persönlichkeits-Anteilen ’stehen‘, sie nicht akzeptieren können, projizieren sie etwas in die andere Person, das sie scheinbar berechtigt, andere mit negativen Feedbacks („Feed-Backhand“) zu belegen. Da meist ein reale Anteil im Feedback enthalten ist, sehen sie dieses Feedback, diese Vorwürfe, diese Angriffe als berechtigt.
Wie unterscheidet man aggressive von authentischer, ‚radikaler‘ Ehrlichkeit ohne Aggression?
Folgende Indikatoren sind Hinweise auf aggressive Ehrlichkeit.6
- Aggressive Ehrlichkeit stellt sich über den Anderen. „Ich bin besser.“ – keine Kommunikation auf Augenhöhe (Paul Watzlawick nennt sie „komplementäre Beziehung„)
- Aggressive Ehrlichkeit ist (oft ohne ersichtlichen Grund) mit negativen Gefühlen behaftet. „Man kann die Aggression fühlen bzw. erahnen.“ (z. B. ein Lehrer, der sich über die schlechte Leistung eines Schülers ärgert.)
- Die Stimme oder die Körpersprache enthalten einen aggressiven Ausdruck.
- Es ist eine Spur oder auch offene Absicht enthalten, den Anderen zu verletzen, abzuwerten, bloßzustellen.
- Es gibt keine Punkte, die der Empfänger der ‚Ehrlichkeit‘ verändern kann.
- Die Kommunikation enthält eine ironische Beinote, z. B. „Dein Kleid hat eine schöne Farbe.“ und die Beinote: „Schade, dass du darin so dick aussiehst.
- Es wird mit Du-Botschaften kommuniziert „Du bist …“, „Du machst immer …“, „Du musst“, …
- Die Kommunikation enthält keine Selbstoffenbarungs-Anteile7 (Was hat das Ganze mit mir zu tun? …)
- Kritik (auch) an der Person (statt – nur – an Verhaltensweisen oder Ergebnissen).8
Das positive Gegenstück zur aggressiven Ehrlichkeit ist authentische, wertschätzende Ehrlichkeit. Sie kommt auch im Konzept der „bescheidenen Ehrlichkeit“ (honesty-humility HH) zum Ausdruck.
Links und Literatur
Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden. Zu große Höflichkeit schafft latentes Misstrauen. In Harvard Business manager. Heft 2 / 1987. Aus: www.harvardbisnennsmanager.de. https://www.harvardbusinessmanager.de/heft/d-29861791.html.
engl. Original: Chris Argyris: Skilled incompetence. In HBR. Sept. 1986. Aus: hbr.org. https://hbr.org/1986/09/skilled-incompetence. (pdf) Auch aus: winstonbrill.com. http://www.winstonbrill.com/bril001/html/article_index/articles/51-100/article60_body.html.
Chris Argyris: Skilled incompetence. Harvard Business School Reprint. 1. 1. 1986.
Chris Argyris: Good communication that blocks learning. In: HBR, July-August 1994. Aus: http://6-30partners.com. http://6-30partners.com/wp-content/uploads/2015/12/Chris-Argyris-Good-Communication-that-Blocks-Learning.pdf. (pdf).
Chris Argyris: Interpersonal Competence and Organizational Effectiveness. Homewood 1962.
Chris Argyris: Organization and Innovation, Homewood 1965.
Chris Argyris: Intervention Theory and Method: A Behavioral Science Approach. Reading 1970.
Chris Argyris: Increasing Leadership Effectiveness. Wiley, 1976.
Zum Bild: Camera Picta.
Don Alphonso: Die Trump-Familie in Nepotentradition. Aus: blogs.faz.net. 27. 1. 2017. https://blogs.faz.net/stuetzen/2017/01/27/die-trump-familie-in-nepotentradition-7402/.
Ehrlichkeit
Anja Rassek: Hexaco-Modell. Erkennen Sie Ihre Persönlichkeit? aus: karrierebibel.de. https://karrierebibel.de/hexaco-modell/. (Big-Five-Modell ergänzt um Ehrlichkeit-Bescheidenheit).
Eleanor Shakiba: Toxic honesty. When does being ‚truthful‘ become aggression?. Aus: thinklearnsucceed. https://thinklearnsucceed.com.au/toxic-honesty/#.X1Zcn3kzaHs.
Elliott T. MacDonell, Teena Willoughby: Investigating honesty‐humility and impulsivity as predictors of aggression in children and youth. wiley online library. First published: 12 November 2019. https://doi.org/10.1002/ab.21874.
Dirk Kaesler: Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Fleiß, Genaugikeit, Ordnung. In: M. Maaser, G. Walther (Hrsg.) Bildung. Springer. 2011. S. 363 – 372. Aus: link-springer.com. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-476-00131-3_77.pdf.
Nicola Erdmann: Wie viel Ehrlichkeit verträgt eine Beziehung? Aus: welt.de. https://www.welt.de/icon/article151546909/Wie-viel-Ehrlichkeit-vertraegt-eine-Beziehung.html.
o. A.: Aggression. https://en.wikipedia.org/wiki/Aggression. Aus: en.wikipedia. https://en.wikipedia.org/wiki/Aggression. dt.: Aggression.
Selbstoffenbarung / Selbstkundgabe
Friedemann Schulz von Thun: Das Kommunikationsquadrat. Aus: schulz-von-thun.de. https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-kommunikationsquadrat.
- Vgl. dazu den Beitrag zum Werte-Quadrat. ↵
- Aus Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden. ↵
- Vgl. Chris Argyris: Good communication that blocks learning., S. 79 ↵
- Aus Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden. ↵
- Vgl. Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden. ↵
- Vgl. auch: Eleanor Shakiba: Toxic honesty. ↵
- Vgl. Friedemann Schulz von Thun: Das Kommunikationsquadrat. ↵
- Vgl. den Beitrag zum aggressionsfreien Feedback ↵