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Am Hof der Könige und Fürsten galten Hofregeln – „Höflichkeit„. Am Bild wirkt das eher als leblose ‚Fried-Höflichkeit‚. Gemälde: Der Hof von Ludovico III Gonzaga. Andrea Mantegna, Camera Picta, Schloss von St. George, 1465-1474

Chris Argyris, ein Doyen der klassischen Organisationspsychologie hat ein Konzept entwickelt, das uns hilft, echte Kompetenz von falscher (Schein-)Kompetenz in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu unterscheiden. Letztere nennt er „befähigte Inkompetenz„: Man hat etwas gelernt, in der Absicht, die Dinge zu verbessern. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Kommunikative Kompetenz

Was macht Kommunikation wertvoll? Was ist echte („befähigte“) Kompetenz. Mehrere Beiträge haben sich schon mit zentralen Kompetenzen der Kommunikation beschäftigt.

  • Ein Beitrag zeigt, wie wichtig offene Kommunikation für Führungskräfte ist.
  • Das Abilene Paradoxon zeigt, wie schädlich es sein kann, wenn man in Kommunikations-Prozessen mit der eigenen Meinung hinter dem Berg hält und aus vermeintlicher Rücksicht oder Höflichkeit falsche Zustimmung gibt.
  • Ein zentraler Punkt ist die Fähigkeit zur Empathie und wertschätzender Kommunikation. Schon Carl Rogers, der Altvater der empathischen Kommunikation, Beratung und Psychotherapie  (personen-zentrierte Kommunkation) und sein wissenschaftlicher Schüler Thomas Gordon (Win-win-Kommunikation) haben uns das gelehrt und unzählige Studien haben es bestätigt.
Kriege hatten die Sitten verrohen lassen. Mätressen – Gebieterinnen am Hof – waren höher gestellt als der Adel. Sie gaben den Ton am Hof der Könige an. Die überwachten diese Normen – die ‚Höflichkeit‚. Gemälde: Porträt der Madame de Pompadour, die berühmte Mätresse Ludwigs XV. von Francois Boucher. 1750-58. National Galerien von Schottland.

Aber es gilt auch die Kommunikations-Sünden aufzuzeigen, vor allem die Schädlichkeit abwertender, verletzender Kommunikation. Dazu die Beiträge

Kommunikative Kompetenz zeigt sich vor allem in vielen privaten und betrieblichen Situationen, in Konflikten, bei Rückmeldungen, in Beziehungen, …

So gilt es,

Andere Beiträge drücken das gleiche Prinzip aus der Perspektive der Beziehungen aus und betonen die Wichtigkeit der Wertschätzung in Beziehungen

Weiters wurde im Zusammenhang mit Konflikten besprochen, wie wichtig es ist,

Das Problem der höflichen Kommunikation.

Der Knicks – eine lebendige Geste der Höflichkeit. Gemälde La révérence von William Adolphe Bouguereau. 1898. (im privaten Besitz)

Zusammenfassend können

  • Wertschätzung und
  • Offenheit

als zentrale Qualitäts-Kriterien für Kommunikation betrachtet werden.

Wie aber sieht das mit Höflichkeit aus? Natürlich ist ein gewisses Maß an Höflichkeit in der Kommunikation als sinnvoll angesehen werden. Höflichkeit kann jedoch unterschiedliche Qualität haben, sie ist ambivalent.

  • Wertschätzende Höflichkeit ist wichtig.
  • Vermeidende (‚friedhöfliche‘ Fassaden-)Höflichkeit ist schädlich.

Man könnte daraus ein Werte-Quadrat machen:

  • Wertschätzung – Offenheit auf der positiven Seite und
  • direkte Konfrontation – Vermeidung auf der negativen Seite.

Wertschätzung ohne Offenheit kann zu nichtssagender Fassaden-Höflichkeit werden. Offenheit ohne Wertschätzung kann zu verletzenden Konfrontation werden.1

Chris Argyris nennt die negative Seite der Wertschätzung / Freundlichkeit  eine „befähigte Inkompetenz“ und bringt dazu ein Beispiel:

„Betrachten wir folgende Situation: Der Gründer und Inhaber ei­nes schnell wach­sen­den mit­tel­stän­di­schen Be­trie­bes setz­te sich mit sei­nen tüch­ti­gen, en­ga­gier­ten, hart ar­bei­ten­den Füh­rungs­kräf­ten zu­sam­men, um einen neu­en Stra­te­gie­plan zu ent­wi­ckeln. Der Be­trieb hat­te eine jähr­li­che Wachs­tums­ra­te von 45 Pro­zent. Der Un­ter­neh­mer be­fürch­te­te, die ra­sche Ex­pan­si­on kön­ne schwer­wie­gen­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Pro­ble­me auf­wer­fen, und hat­te des­we­gen be­gon­nen, sei­ne Stra­te­gie zu über­den­ken. Er woll­te im Un­ter­neh­men, das bis­her recht spon­tan ge­führt wor­den war, stren­ge­re Richt­li­ni­en ein­füh­ren. Sei­ner Mei­nung nach gab es im Be­trieb zwei ver­fein­de­te Frak­tio­nen – den Ver­kauf und den Kun­den­dienst, die ent­ge­gen­ge­setz­te Vor­stel­lun­gen über das Leis­tungs­pro­gramm des Un­ter­neh­mens hat­ten: Soll­ten Stan­dard­pro­duk­te oder maß­ge­schnei­der­te Kun­den­lö­sun­gen an­ge­bo­ten wer­den? Der Chef woll­te end­lich einen Kon­sens zwi­schen die­sen bei­den Grup­pen. Sei­ne engs­ten Mit­ar­bei­ter teil­ten die Mei­nung, dass ein Kon­zept ent­wi­ckelt und Grund­satzent­schei­dun­gen ge­trof­fen wer­den müssten. Sie befassten sich mit die­sem The­ma auf meh­re­ren lan­gen Sit­zun­gen. Die­se Kon­fe­ren­zen ver­lie­fen zwar recht an­ge­nehm und kei­ner leg­te es dar­auf an, je­man­dem auf die Füße zu tre­ten, aber sie en­de­ten je­des­ Mal ohne Über­ein­kunft. „Wir schei­nen im­mer nur Fra­gen zu sam­meln, aber kei­ne Ent­schlüs­se zu tref­fen“, mein­te ein Di­rek­tor. Ein an­de­rer füg­te hin­zu: „Das ist ganz schön ent­mu­ti­gend, wenn das bei je­der Sit­zung pas­siert.“ Und ein drit­ter Ma­na­ger gab zu be­den­ken: „Wenn ihr meint, wir sei­en ent­mu­tigt, dann denkt doch mal dar­an, wie sich un­se­re Mit­ar­bei­ter füh­len müs­sen, wenn sie er­le­ben, wie wir wie­der­holt ver­sa­gen.“ Ob­wohl die­se Füh­rungs­kräf­te sich ge­gen­sei­tig re­spek­tie­ren, hoch mo­ti­viert sind und die Mei­nung tei­len, dass die Ent­wick­lung ei­ner Stra­te­gie le­bens­not­wen­dig ist, misslingt es ih­nen bei al­len Be­spre­chun­gen, ein ge­mein­sa­mes Kon­zept zu fin­den. Was pas­siert da?“2

Worum geht es? – Befähigte Inkompetenz

Fragt man Führungskräfte nach ihren zentralen Herausforderungen, so hört man Antworten wie z. B.

  • Wir haben noch keine Lösung, ob wir maßgeschneiderte Problemlösungen oder Standardprodukte anbieten wollen.
  • Wir haben einen Konflikte zwischen Sales und Customer Service.

Aber: das sind vordergründige Probleme („single loop problems“3)

Das eigentliche Problem ist das dahinter stehende Muster („double loop problem„), das Problem, („fried-)höflich miteinander zu kommunizieren ohne zu Lösungen / Vereinbarungen zu kommen. Warum kommt man zu keinen Lösungen?  Weil niemand die Karten auf den Tisch legt, weil nicht offen kommuniziert wird und der Chef es zulässt, dass ohne Lösung das Team wieder auseinander geht. Es ist die gelernte / befähigte Inkompetenz, höflich und zurückhaltend zu kommunizieren, damit niemand verletzt wird – oft in der vermeintlichen Annahme, dass die anderen dies erwarten („Abilene Paradoxon„). Diese Muster führen, basieren auf konfliktvermeidender Höflichkeit und, wie Argyris zeigt, zu Misstrauen. Die guten Absichten verkehren sich ins Gegenteil. (Das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“.)

Höflichkeit gilt vielen Managern als Tugend. Sie sind stolz auf ihre Fähigkeit, Konflikte zu vermeiden. Mit den besten Absichten versuchen sie, die Gefühle anderer nicht zu verletzen. Dadurch wird aber ein Vorzug in einen Nachteil verwandelt. Wenn Manager weder offen reden noch wich­ti­ge­ Fak­ten auf den Tisch legen, treffen sie keine effektiven Entscheidungen. Wenn Misstrauen sich ausbreitet, weil die Offenheit verloren geht, leidet die ­Kom­mu­ni­ka­ti­on und mit ihr das ­Un­ter­neh­men.“2

Höflichkeit hatte – laut Argyris – ursprünglich die gute Absicht, der Verrohung  durch den Krieg durch Benimm-Regeln am Hof – der Höflichkeit – entgegenzuwirken. (Offizielle) Mätressen war oft die Wächterinnen der Regeln und hatten einen hohen Rang am Hof. Sie konnten aber leicht in Ungnade fallen.5

Das (negative) Gegenstück: Aggressive  (toxische) Ehrlichkeit

Die zurückhaltende, leblose ‚Fried-Höflichkeit‘  wirkt kontraproduktiv und krankmachend – normopathisch. Das positive Gegenstück zur Fried-Höflichkeit könnte man als „authentische Freundlichkeit“ bezeichnen, das negative Gegenstück die „aggressive Ehrlichkeit„. Manche Menschen tarnen ihre aggressiven Impulse als ‚Ehrlichkeit‘. Sie behaupten von sich „ich bin halt direkt und ehrlich“, in Wahrheit suchen – oft unbewusst – nur eine Gelegenheit, ihr aggressiven Impulse auszudrücken. Da sie nicht zu diesen Impulsen bzw. Persönlichkeits-Anteilen ’stehen‘, sie nicht akzeptieren können, projizieren sie etwas in die andere Person, das sie scheinbar berechtigt, andere mit negativen Feedbacks („Feed-Backhand“) zu belegen.  Da meist ein reale Anteil im Feedback enthalten ist, sehen sie dieses Feedback, diese Vorwürfe, diese Angriffe als berechtigt.

Wie unterscheidet man  aggressive von authentischer, ‚radikaler‘ Ehrlichkeit ohne Aggression?

Folgende Indikatoren sind Hinweise auf aggressive Ehrlichkeit.6

  • Aggressive Ehrlichkeit stellt sich über den Anderen. „Ich bin besser.“ – keine Kommunikation auf Augenhöhe (Paul Watzlawick nennt sie „komplementäre Beziehung„)
  • Aggressive Ehrlichkeit ist (oft ohne ersichtlichen Grund) mit negativen Gefühlen behaftet. „Man kann die Aggression fühlen bzw. erahnen.“ (z. B. ein Lehrer, der sich über die schlechte Leistung eines Schülers ärgert.)
  • Die Stimme oder die Körpersprache enthalten einen aggressiven Ausdruck.
  • Es ist eine Spur oder auch offene Absicht enthalten, den Anderen zu verletzen, abzuwerten, bloßzustellen.
  • Es gibt keine Punkte, die der Empfänger der ‚Ehrlichkeit‘ verändern kann.
  • Die Kommunikation enthält eine ironische Beinote, z. B. „Dein Kleid hat eine schöne Farbe.“ und die Beinote: „Schade, dass du darin so dick aussiehst.
  • Es wird mit Du-Botschaften kommuniziert „Du bist …“, „Du machst immer …“, „Du musst“, …
  • Die Kommunikation enthält keine Selbstoffenbarungs-Anteile7 (Was hat das Ganze mit mir zu tun? …)
  • Kritik (auch) an der Person (statt – nur – an Verhaltensweisen oder Ergebnissen).8

Das positive Gegenstück zur aggressiven Ehrlichkeit ist authentische, wertschätzende Ehrlichkeit. Sie kommt auch im Konzept der „bescheidenen Ehrlichkeit“ (honesty-humility HH) zum Ausdruck.

Links und Literatur

Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden. Zu große Höflichkeit schafft latentes Misstrauen. In Harvard Business manager. Heft 2 / 1987. Aus: www.harvardbisnennsmanager.de. https://www.harvardbusinessmanager.de/heft/d-29861791.html.
engl. Original: Chris Argyris: Skilled incompetence. In HBR. Sept. 1986. Aus: hbr.org. https://hbr.org/1986/09/skilled-incompetence. (pdf) Auch aus: winstonbrill.com. http://www.winstonbrill.com/bril001/html/article_index/articles/51-100/article60_body.html.

Chris Argyris: Skilled incompetence. Harvard Business School Reprint. 1. 1. 1986.

Chris Argyris: Good communication that blocks learning. In: HBR, July-August 1994. Aus: http://6-30partners.com. http://6-30partners.com/wp-content/uploads/2015/12/Chris-Argyris-Good-Communication-that-Blocks-Learning.pdf. (pdf).

Chris Argyris: Interpersonal Competence and Organizational Effectiveness. Homewood 1962.

Chris Argyris: Organization and Innovation, Homewood 1965.

Chris Argyris: Intervention Theory and Method: A Behavioral Science Approach. Reading 1970.

Chris Argyris: Increasing Leadership Effectiveness. Wiley, 1976.

Zum Bild: Camera Picta.
Don Alphonso: Die Trump-Familie in Nepotentradition. Aus: blogs.faz.net. 27. 1.  2017. https://blogs.faz.net/stuetzen/2017/01/27/die-trump-familie-in-nepotentradition-7402/.

 

Ehrlichkeit

Anja Rassek: Hexaco-Modell. Erkennen Sie Ihre Persönlichkeit? aus: karrierebibel.de. https://karrierebibel.de/hexaco-modell/. (Big-Five-Modell ergänzt um Ehrlichkeit-Bescheidenheit).

Eleanor Shakiba: Toxic honesty. When does being ‚truthful‘ become aggression?. Aus: thinklearnsucceed.  https://thinklearnsucceed.com.au/toxic-honesty/#.X1Zcn3kzaHs.

Elliott T. MacDonell, Teena Willoughby: Investigating honesty‐humility and impulsivity as predictors of aggression in children and youth. wiley online library. First published: 12 November 2019. https://doi.org/10.1002/ab.21874.

Dirk KaeslerBescheidenheit, Ehrlichkeit, Fleiß, Genaugikeit, Ordnung. In: M. Maaser, G. Walther (Hrsg.) Bildung. Springer. 2011. S. 363 – 372. Aus: link-springer.com.  https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-476-00131-3_77.pdf.

Nicola ErdmannWie viel Ehrlichkeit verträgt eine Beziehung? Aus: welt.de. https://www.welt.de/icon/article151546909/Wie-viel-Ehrlichkeit-vertraegt-eine-Beziehung.html.

o. A.: Aggression. https://en.wikipedia.org/wiki/Aggression. Aus: en.wikipedia. https://en.wikipedia.org/wiki/Aggression. dt.: Aggression.

 

Selbstoffenbarung / Selbstkundgabe

Friedemann Schulz von Thun: Das Kommunikationsquadrat. Aus: schulz-von-thun.de. https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-kommunikationsquadrat.

  1.   Vgl. dazu den Beitrag zum Werte-Quadrat.
  2.   Aus Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden.  
  3.   Vgl. Chris Argyris: Good communication that blocks learning., S. 79 
  4.   Aus Chris Argyris: Wenn Manager nicht offen miteinander reden.  
  5.   Vgl. Chris ArgyrisWenn Manager nicht offen miteinander reden.  
  6.   Vgl. auch:  Eleanor Shakiba: Toxic honesty.  
  7.   Vgl. Friedemann Schulz von Thun: Das Kommunikationsquadrat.    
  8. Vgl. den Beitrag zum aggressionsfreien Feedback   

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