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Die Stellvertretung als Sandwich-Position: Wie kann man sie bewusst gestalten?

Einer der ältesten bekannten Stellvertreter war der spätere babylonische Regent Belsatzar. Er wurde im Alten Testament im Buch Daniel erwähnt. Er war mehrere Jahre Stellvertreter seines abwesenden Vaters und wurde von der Priesterschaft umgebracht, bevor sein Vater Nabunaid aus Tayma, einer großen Oase in Saudi-Arabien, zurückgekommen war. Schon damals hatten Stellvertreter einen schweren Stand. Das Gemälde von Rembrandt („Das Gastmahl des Belsazar„, 1635, National Gallery in London) zeigt, wie ihm sein Tod und der Untergang des Reiches durch geheimnisvolle Schriftzeichen an der Wand prophezeit und vom Prophet Daniel gedeutet wurden, was diesem das Leben kostete.1 2
Führungskräfte sind in Sandwichpositionen.3

Die Sandwichposition ist zwischen oben (eigener Chef, Chefin) und unten – den direkt unterstellten Mitarbeiter*innen und Führungskräften („direct leads“). Nur Unternehmerinnen sind nicht in diesen Sandwichpositionen.4

Diese Sandwichstellung kann unterschiedlich  ausgebildet sein (unewusst bzw. reaktiv „entstehen“) bzw. (bewusst, proaktiv) verhandelt und ausgestaltet werden.

Besonders deutlich wird die Sandwichstellung und deren damit verbundenen Problemen von Stellvertreter*innen („Stv“) erlebt.

  • Und hier wiederum werden Schwierigkeiten auf der unteren Hierarchie-Ebene erlebt – auf der Ebene zwischen Mitarbeiter*innen und Teamleiter*innen, Filialleiter*innen und anderen First-Line-Manager*innen erlebt. Es sind operative Führungskräfte, auch Shopfloor Manager genannt, die direkt am Ort der Wertschöpfung führen bzw. arbeiten sonst keine offiziellen Führungspositionen einnehmen.
  • Stv auf höherer Ebene (z.B. von Abteilungsleiter*innen) haben meist eine zusätzliche Führungsposition auf unterer Ebene (z. B. als Teamleiter*in)

Deshalb wird diese Sandwich-Thematik auf dieser Ebene beschrieben.

Sandwich-Positionen differieren in der Praxis in in einer großen Bandbreite und können unterschiedlich gestaltet werden. Dies ist den Inhaber*innen dieser Position oft gar nicht bewusst, sondern wird als „Selbstverständlichkeit“ gelebt, passiv hingenommen und nicht aktiv gestaltet.

Die folgenden Überlegungen sollen den Inhabern dieser Sandwichpositionen, vor allem den Stellvertreter*innen (und deren Vorgesetzten und anderen beteiligten Stellen) helfen, diese Positionen bewusst zu gestalten.

Voraussetzungen für die wirksame Zusammenarbeit

Bedeutung von Stellvertretung

Nicht alle Führungskräfte haben Stv. Dies hat oft finanzielle Gründe, „weil man Stellvertreter*innen mehr zahlen muss“, wie es oft heißt. Die negativen Wirkungen, vor allem bei Abwesenheit der Führungskraft überwiegen jedoch die Einsparungen. Auch die Regelung, dass die jeweiligen Chefs die Führungskraft vertreten klappt selten. (Ausnahme: Unterschriften-Berechtigungen und Ähnliches). Kommt dann die Führungskraft aus dem Urlaub zurück, ist sie oft mit Mengen an Post, unbeantworteten E-Mails und unerledigten Angelegenheiten konfrontiert. Die Forderung, dass Führungskräfte ihre E-Mails im Urlaub beantworten sollten, liegt auch nicht im Sinne der oft sehr notwendigen Erholung.

Daher mein Postulat: „Jede Führungskraft sollte einen Stellvertreter aus ihrem Mitarbeiter*innen-Team haben.“

Als Voraussetzung formuliert: Nicht nur Führung und Führungskräfte sondern auch Stellvertretung sollte einen hohen Stellenwert im Unternehmen haben.5

Ergänzung der Kompetenzen

Unabhängig von der jeweiligen Konzeption der Stellvertreter ist auch hier Diversität sinnvoll. Die Kompetenzen sollen einander ergänzen: Die Stellvertretung sollte über Kompetenzen verfügen, über die bei Führungskraft nicht verfügt oder die zu ihren Schwächen zählt oder die sie ungern im Führungsalltag anwendet. So kann man voneinander lernen und kann gemeinsam stark auftreten.

Beispiel: Der Leiter einer Personalentwicklung eines großen Kredit-Institut sieht seine Stärken im Führungsprozess bei den strategischen und zwischenmenschlichen Führungsaufgaben. Operative Managementaufgaben (kurzfristige Planung, Organisation, Aufgabenverteilung, Verwaltung gehören weder zu seinen Stärken noch zu seinen Interessen, was im Arbeitsalltag zu Problemen geführt hat. Er hat zwei Mitarbeiterinnen ausgewählt, die das gerne und gut machen. Er hat sie zu Stellvertreterinnen ernannt und haben diese Aufgaben so gut erledigt, dass sie inzwischen zu Teamleiterinnen aufgestiegen sind.

Entlastung der Stellvertretung

Eine häufige Praxis in Unternehmen ist, die Stellvertretung bei der Ernennung nicht von operativen Aufgaben zu entlasten.  Die Stellvertretung behält die bisherigen Aufgaben und zusätzlich die Stellvertretung, manchmal sogar noch zusätzliche komplexe Aufgaben hinzu, da ja die Stellvertreter ja jetzt mehr Verantwortung tragen (müssen). Je nach Rolle / Konzeption der Stellvertretung kann es jedoch zu erheblicher Mehrbelastung kommen, die „nebenbei“ nicht zu schaffen ist. Dies führt häufig dazu, dass dann Führung nicht erfolgt, weil man ja mit operativen Aufgaben überlastet ist.

Führungs-Gespräche / Leiter-Gespräche

Zu Gestaltung der Führungs- / Sandwich-Positionen und Besprechung der Herausforderungen, Strategien etc. ist es aus meiner Sicht unerlässlich, regelmäßige Führungs-Gespräche (werden oft „Leiter-Gespräche“ genannt) zwischen der Führungskraft und ihrer Stellvertretung zu führen (z. B. wöchentlich 1 Stunde). Während 1:1-Gespräche zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen bereits in der Literatur deutlich gefordert und besprochen werden (One-on-One-Meetings: Regelmäßige Vier-Augen-Gespräche – ein zentrales Führungs-Tool), sind die Führungsgespräche sehr selten angesprochen, reflektiert und erforscht worden.

Auswahl von Stellvertreter*innen

Die Auswahl der Stellvertreter steht manchen Führungskräften frei. Oft spricht jedoch auch die nächsthöhere Instanz bzw. die Geschäftsführung und die Personalentwicklung bzw. HR mit, sehr selten die Mitarbeiter*innen.

Oft steht eine Entscheidungs-Situation an, bei der zwei Personen zur Auswahl stehen.

  • Eine Mitarbeiter*in ist schon länger im Team und sehr erfahren, aber auch dem traditionellen Denken verhaftet und hat wenig neue Ideen hat.
  • Eine zweite hat noch relativ wenig Erfahrung, ist relativ neu im Team, muss noch viel lernen, bringt aber frischen Wind hinein und hat viele neuen Ideen.

Die Entscheidungen fallen sehr unterschiedlich und hängen von den Vorstellungen der Führungskraft, der Unternehmenskultur, den Unternehmens- und Bereichs-Strategien, … ab. In letzter Zeit geht der Schwerpunkt stärker zur zweiten Alternative und es gibt sehr viel mehr sehr junge Führungskräfte als noch vor 10 oder 15 Jahren.

Führungskräfte-Ausbildung / Führungskräfte-Nachwuchs-Entwicklungsprogramm

Um die Sandwich-Position gut gestalten und in ihr wirksam handeln zu können, ist eine Führungsausbildung bzw. ein Entwicklungsprogramm für Nachwuchs-Führungskräfte mit internen und/oder externen Programm-Elementen sehr empfehlenswert. So ein Proramm erhöht auch die Möglichkeit des Learnings by Doing im Führungsalltag. Viele Führungs-Situationen sind für die Stellvertretung schwieriger / komplexer, weil sie häufig weniger Akzeptanz von den Mitarbeiter*innen bekommt als die Führungskraft.

Es sollte sowohl Formate genereller Natur (gültig für alle Führungskräfte) als auch Formate unternehmensspezifischer Natur enthalten.

Seminare, Workshops und ähnliche Veranstaltungen sollten mit individueller Unterstützung (Coaching, Mentoring, …) kombiniert werden.

In Großbetrieben ist dies meist üblicher Standard, in vielen vor allem kleineren Betrieben leider nicht.

Basis-Dimensionen der Gestaltung

Zwei Haupt-Dimensionen der Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Leitung und Stellvertretung fallen in der Praxis deutlich ins Auge.

  • Abwesenheits-Stellvertretung versus „volle“ Stellvertretung
  • rationale versus (sozio-)emotionale Führung

Abwesenheits-Stellvertretung

Abwesenheits-Stellvertretung wird oft als einzig mögliche Form der Stellvertetung angesehen. Wenn die Chefin nicht da ist, wird sie durch ihre Stellvertreterin vertreten („wie der Name schon sagt“). Auch wenn diese Form vor allem in sehr kleinen Teams sinnvoll sein kann, ist sie nicht die einzige.

Und auch diese einfache Form wird oft nicht sinnvoll gestaltet. Vor allem müssen auch und besonders hier sinnvolle Übergabegespräche vor einer längeren Abwesenheit geführt werden. Dazu fehlen häufig das Bewusstsein und/oder die Zeit. Ohne diese Gespräche kann die Vertretung nur sehr unprofessionell erfolgen, was zur Folge hat, dass der Chef in seiner Abwesenheit häufig kontaktiert werden muss und Fehler gemacht werden.

Volle Stellvertretung

Bei dieser Form von Stellvertretung verstehen sich die Führungskraft und Stv als Führungsteam, die gemeinsam (wenn auch in unterschiedlichen Rolen) den Führungsbereich führen.  Die Führungsaufgaben werden aufgeteilt und gemeinsame Führungs-Gespräche werden regelmäßig geführt.

Aus meiner Erfahrung führt das zu überwiegend positiven Ergebnissen. Die Probleme, Herausforderungen, Konflikte usw. werden aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und reflektiert und dies führt zu besseren Lösungen. Die Führungskraft fühlt sich in ihrer Position weniger „einsam“ und die Stellvertreterinnen können sich gut zur vollwertigen Führungskraft entwickeln.

Die Aufgabenteilung sollte gemeinsam reflektiert, besprochen und vereinbart werden, möglichst in einem dynamischen Prozess von geringen und einfachen Aufgaben am Anfang zu immer höherwertigen und komplexen Aufgaben, die dem Entwicklungsstand der jeweiligen Stellvertretung entspricht.

Die Art der vereinbarten Aufgabenteilung muss den Mitarbeiter*innen mitgeteilt werden. Dies vermeidet Unklarheiten und Frustrationen.

Mischformen

Man kann beide Formen der Stellvertretung als Polarität, als Extremausprägung eines Kontinuums ansehen

  • von absoluter Abwesenheits-Vertretung mit minimalen Führungs- und Entscheidungs-kompetenzen bei Abwesenheit der Führungskraft auf der einen Seite
  • bis zu (nahezu) gleichwertiger Aufteilung der Führungsaufgaben auf der anderen Seite.

Nicht selten habe ich erlebt, dass die Stellvertretung alleine die volle Führungsverantwortung übernimmt, weil sich die Führungskraft aus allen Führungsaktivitäten zurückgezogen hat. Gründe dafür sind z. B. anstehende Pensionierung oder völlige Inkompetenz der Führungskraft (z. B. Führungs-Übernahme aus politischen Gründen ohne begleitende Kompetenz- / Eignungs-Überprüfung). Die Stellvertretung übernimmt dann die Führungsaufgaben, ohne dass sie die eigentlich notwendigen Kompetenzen (Berechtigungen) übertragen bekommt – ein schwerer Organisationsfehler.

Rationale versus emotionale Führung

Ein häufiges Muster ist die eingespielte Aufteilung in rationale Management-Aufgaben (Zielsetzung, Planung, Organisation, Koordination, Kontrolle, …) und „Mitarbeiter-Angelegenheiten“ (Menschen-Führung, Mitarbeiter*innen-Führung). Ein Beispiel: In einem Familien-Unternehmen gibt es eine Aufgabenaufteilung der Art, dass z. B. der Unternehmer „die Geschäfte führt“, sich aber wenig um das Personal kümmert, weil er dazu keine Zeit hat oder sich als nicht dafür geeignet oder nicht daran interessiert ist. Seine mitarbeitende Frau übernimmt offiziell, oft auch inoffiziell („weil du das besser kannst“) die „Personalangelegenheiten“ und ist für alle Mitarbeiter*innen die Anlaufstelle bei ihren Anliegen und Problemen und Konflikten.

Diese Art der Aufteilung gibt es jedoch auch in allen anderen Führungspositionen, besonders dann, wenn sich die Führungskraft bewusst eine Stellvertretung sucht, die ihre Schwächen kompensieren kann.

Die Aufteilung gibt es auch umgekehrtEin Praxis-Beispiel dazu: ein sehr menschlicher Team-Leiter mit wohlwollend-patriarchischem Führungsstil (aber auch konfliktscheu) bekommt wegen einer Verdopplung seines Führungsbereichs eine Stellvertreterin. Diese wirkt auf die Mitarbeiter*innen sehr cool und rational, aber auch streng – ein eher direktiver Führungsstil. Dies hat zu Spannungen, Konflikten mit den Mitarbeiter*innen geführt und auch zu Beschwerden bei der Geschäftsführung. Ein Grund war, dass sich die beiden nicht abgesprochen hatten und unkoordiniert „nebenher“ führten.

Die väterliche Führungskraft ist zwar sehr beliebt, ist aber auch Konflikten aus dem Weg gegangen und hat viel offengehalten. Die neue Stellvertreterin hat zu Beginn viel Ablehnung bekommen, im Laufe der Zeit wurde jedoch auch geschätzt, dass sie Klarheit schafft und damit auch Sicherheit. Zusätzlich konnten beide Führungskräfte voneinander lernen, ihren Führungsstil adaptieren und so von der Diversität profitieren. (positive Mitarbeiter-Orientierung bzw. klare Entscheidungen).

Zur Aufteilung stehen auch die kleinen und größeren Mitarbeiter-Gespräche und Besprechungen an. Das jährliche Mitarbeiter-Gespräch ist zwar meist der Führungskraft vorbehalten, kann jedoch auch aufgeteilt werden, sollte jedoch in beiden Fällen gemeinsam vorgesprochen und nachbearbeitet werden. (Wöchentliche) Team-Meetings können gemeinsam oder auch abwechselnd moderiert werden, ebenso (tägliche) Shop-Floor-Meetings / Daily (Standups).

Spezielle Rollenmuster in Sandwichpositionen der Stellvertretung

Stellvertretung als Führungs-Einstieg

In manchen Firmen erfolgt der Führungseinstieg prinzipiell in der Stellvertreter-Rolle. Streben Mitarbeiter*innen Führungspositionen an, so erfolgt das grundsätzlich durch Übernahme einer Stellvertretung in einem ersten Schritt. Hintergrund ist, dass sich die Mitarbeiter*innen „zuerst in einer Führungsposition bewähren sollen, bevor sie die volle Führungsverantwortung übernehmen“.  Oft wird die Rollenverteilung völlig offengelassen, in anderen Fällen wir sie auch klarer geregelt.

Entwicklungs-Vertretung

Das oben beschriebene Führungs-Einstiegs-Muster überschneidet und ergänzt sich durch das Muster der Entwicklungsvertretung. Gleich ist, dass sich die Stellvertretung in dieser Position zur kompetenten Führungskraft entwickeln soll. Zusätzlich kommt dazu, dass die Führungskraft die explizite Aufgabe hat, ihre Stellvertretung zur vollwertigen Führungskraft zu entwickeln.

Manche Unternehmen habe dazu ein Ampelsystem, das anzeigt, auf welcher Stufe der Führungskräfte-Entwicklung sich die Stellvertretung befindet. „Rot“ bedeute: Noch weit davon entfernt. „Grün“ heißt: „Ist jederzeit fähig, die Chef-Rolle zu übernehmen.“ Manchmal ist ein „Grün“ der Führungskraft Voraussetzung, damit diese einen nächsten Karriereschritt vollziehen kann.

Dieses Muster der Vertretung ist sinnvollerweise durch ein offizielles Führungskräfte-Entwicklungsprogramm zu begleiten.

Informationsüberbringer als „linking pin“

Ein weiteres Muster ist die Rolle der Stv als Informationsüberbringer. Die Stellvertretung sieht die eigene Rolle primär als „linking pin“. Sie besteht darin, Informationen im Auftrag des Chefs an die Mitarbeiter*innen zu überbringen und/oder umgekehrt.

  • Gründe für die Information nach unten könnte sein, dass die Chefin der Überzeugung ist, dass die Stv das besser kann / die richtigen Worte für die Information bringt oder die MA mehr Vertrauen zu ihr haben oder sie selbst keine Zeit hat, sich mit den MA auseinanderzusetzen. Manchmal wird diese Funktion von den MA auch als „Briefträger-Rolle“ bezeichnet.
  • Werden auch Informationen von unten nach oben gebracht, dann wird die Rolle zu einer echten „linking pin“-Rolle. Gründe können sein, dass MA nicht den Mut haben, bestimmte Anliegen nach oben zu bringen oder die Stv mehr Akzeptanz bei der FK hat und damit die Informationen umfassender und mit mehr Verständnis ankommen, …

Manchmal gehen Informationen über die Stv nur in eine Richtung, manchmal in beide.

Interessenausgleichs-Vertreter

Das Interessensausgleichs-Muster ähnelt dem Muster der Informationsüberbringung, ergänzt um Verhandlungs- bzw. Interessensausgleichs-Prozesse. Werden als Informationen (z. B. Entscheidungen, Forderungen, Anliegen) von oben oder unten nicht akzeptiert, so versucht sie einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Seiten leben können.

Bringt z. B. eine Stellvertreterin Informationen von oben nach unten, die dort nicht leicht zu akzeptieren sind, so versucht sie vielleicht, die Botschaft in einer Formulierung zu bringen, die eher akzeptabel sind, als wenn sie von der Führungskraft gekommen wäre. Wird sie unten trotzdem nicht akzeptiert, so verhandelt sie vielleicht, fragt nach Alternativen und versucht zu einer Lösung zu kommen, die oben und unten akzeptiert wird.

Die Stellvertretung als fachliche Führung

Eine ganz andere Rolle für Stv. ist die der fachlichen Führung. Sie ist besonders dann angebracht, wenn die Stv über großes Expertenwissen verfügt und vor allem wenn sie schwierige fachliche Probleme einer Lösung zuführen kann. Gelingt dies, so kann die Stellvertretung großen Einfluss über die „Expertenmacht“ gewinnen, die es ihr ermöglicht, auch disziplinäre Probleme zu lösen.

Ergänzende Stellvertretungsformen

Ergänzende Stellvertretungsformen sind eher kritisch zu sehen und werden hier nur erwähnt:

  • Die Stellvertretung als Hilfssheriff
    • Manchmal sehen Führungskräfte ihre Rolle noch in der „alten Version“ auf Aufpasser, Überwacher, Sheriff
    • Die Rolle der Vertretung ist dann die des Hilfs-Sheriff.
    • Die ist jedoch eine primär veraltete, autoritäre Version der Führungsrolle, obwohl natürlich die Überwachung der Normen zum Aufgabengebiet der Führung gehört.
  • Der Stellvertreter als Ausputzer, die Stellvertreterin als Mädchen-für-alles
    • Ein Ausputzer ist im Fußballspieler jemand, der im Fußball an hinterster Stelle vor dem Torhüter platziert ist und, wenn alle Mitspieler bereits überspielt sind, das Ärgste verhindern soll.
    • Verallgemeinert ist Ausputzer jemand, der Fehler beseitigen und Unerledigtes erledigen soll.
    • Insofern wird oft der Stellvertreter als jemand gesehen, der jetzt mehr Verantwortung hat als die Mitarbeiter*inn und wenn Not am Mann oder an der Frau ist, zusätzliche Arbeiten übernimmt, zusätzliche Kontrollen vornimmt und Fehler ausbessert, der auch bereit ist, wenn notwendig auch am Wochenende in die Firma zu kommen, …
  • Der Stellvertreter als Kumpel
    • Stellvertreter*innen sind oft in einer ungeklärten Rolle, haben wenig oder gar keine Führungs-Ausbildung und sind daher in ihrer Rolle unsicher.
    • Vom Verhalten her gesehen, ist zwar kollegiales Verhalten, Umgang auf Augenhöhe, positiv zu bewerten. Es darf aber nicht so weit gehen, dass sich Führungskräfte ihren Führungsaufgaben entledigen und laissez-faire-Verhalten zeigen und abweichendes Verhalten nicht ansprechen, Fehler akzeptieren und so tun, als wären sie noch Kolleg*innen wie vorher. Dann bewirken sie keine Multiplikator-Wirkung und man könnte auch auf sie verzichten.

Reale Mischformen

All diese Rollen und Konzepte kommen selten in reiner Form vor. Sie mischen sich in der Praxis. Das optimale Konzept ist von vielen Faktoren abhängig, z. B.

  • von dem Experten-, Führungs- und Organisations-Wissen der beiden (Führungskraft und Stv.)
  • von den persönlichen Merkmalen der beiden, z. B. Persönlichkeit, Ich-Stärke, Selbstbewusstsein, den Zielen, Motiven und Interessen, …
  • von der Organisationskultur und der damit dem weit verbreiteten Muster der Zusammenarbeit von Führungskraft und Stv.
  • der Größe, Branche und anderen Merkmalen der Organisation,

Soziale (und fachliche bzw. persönliche) Aspekte im Führungsprozess der Stellvertretung

Stellvertreter*innen unterscheiden sich in ihrem sozialen Standort zwischen Chef*in und direct reports in mehreren Dimensionen, z. B.

  • Nähe – Distanz: nahe beim Team, nahe beim Chef, distanziert zu beiden, nahe bei beiden
  • Akzeptanz: Stv. sehr akzeptiert / wenig akzeptiert in Kombination zu Chef*in sehr akzeptiert / wenige akzeptiert.
  • Beliebtheit: ähnlich wie Akzeptanz
  • soziale Erfahrung im Unternehmen: kennt viele Personen im Unternehmen, hat zu vielen eine enge Beziehung, kennt die Kultur / sozialen Normen und Gewohnheiten im Unternehmen, … – in Kombination zur Erfahrung d. Chef*in
  • fachliche Erfahrung generell und im Unternehmen, Problemlösungskapazität in konkreten Situationen
  • unterschiedliche Kompetenzen im Führungsprozess
    • Managementkompetenzen (Zielsetzung, Planung, Kontrolle, …) – „execution“6 / Exploitation7
    • Kompetenzen der Menschenführung: „engagement“: Mitarbeiter*innen beraten, entwickeln, Motivation anregen, Möglichkeiten entwickeln, dass Mitarbeiter*innen gerne zur Arbeit kommen, …
    • strategisch-konzeptionelle Führung: „enhancement“ – Hebung, Erweiterung – Change und Innovationsprozesse6
  • berufliche Identität von Stv. und Chef*in
    • organisatorische Identität (primäre Identifikation mit der Organisation / dem Unternehmen)
    • Expertenidentität (primäre Identifikation mit den fachlichen / professionellen Normen und Inhalten)
  • Persönlichkeitsstrukturen, z. B.
    • intro- / extravertiert
    • strukturiert, geplant, geordnet / innovativ, kreativ, veränderungsbereit
    • unterschiedliche Ambiguitätstoleranz: Ungewissheit und Mehrdeutigkeit akzeptieren (Dinge in Schwebe halten, offenhalten) versus vermeiden (kognitive Geschlossenheit, Dinge schnell abschließen, entscheiden)
    • unterschiedliche Verträglichkeit (freundlich, hilfsbereit, mitfühlend versus antagonistisch, streng, …
    • proaktiv – reaktiv
  • Zusammenfassung: Stärken / Schwächen / Diversität
    • meine Stärken / Schwächen
    • Stärken / Schwächen der FK
    • Unterschiedlichkeit: Wo können wir einander ergänzen

Reflexion für Stellvertreter*innen und anderen Sandwich-Führungskräften

  • Welches Muster praktizieren meine Führungskraft und ich derzeit?
  • Was wäre mein ideales Muster?
  • Welches Muster bevorzugt die Führungskraft?
  • Was wäre das ideale Muster (oder ideale Kombination), um größtmögliche Wirksamkeit der Führung zu erreichen?
  • Was möchte ich ändern? (Mehr von … / weniger von …)

Querverweise

Literatur und Links

Mintzberg – Managementrollen

Henry Mintzberg: The Nature of Managerial Work. Harper & Row, 1973.

o. A.: Types of Managers and Their Roles. Aus courses.lumenlearning.com. https://courses.lumenlearning.com/suny-mcc-supervision/chapter/types-of-managers-and-their-roles/.

o. A.: Management Roles. Aus: courses.lumenlearning.com. https://courses.lumenlearning.com/wm-principlesofmanagement/chapter/management-roles/.

 

Trias der Wertschöpfungskette im Führungsprozess: Execution, Engagement und Enhancement

Wolfgang H. Güttel, Astrid Kleinhanns-Rollé: Strategic Leadership durch Orchestrierung der Leadership Value Chains. Execution, Engagement und Enhancement. In: Austrian Management Review Vol. 13, 2023, s. 121 – 142.

Wolfgang H. Güttel: Strategischer Wandel als dauerhafte Konstante. Wie Unternehmen in dynamischen & komplexen Umfeldern ihr Überleben sichern können. Aus: www.vhbonline.org. 31.12.2021. https://www.vhbonline.org/ueber-uns/100-jahre-vhb/100-schlaglichter-der-bwl/strategischer-wandel.

 

Karriere-Anker

Edgar Schein: Career Anchors. Discovering your Real Values. San Diego: Pfeiffer & Company 1993.

  1.   Auch die Ballade Belsatzar von Heinrich Heine (1820) berichtet in abgewandelter Form von diesem Ereignis.
  2.   Belsatzar (Ballade von Heinrich Heine)
    „Die Mitternacht zog näher schon;
    In stummer Ruh lag Babylon.
    Nur oben, in des Königs Schloss,
    Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross,
    Dort oben, in dem Königssaal,
    Belsatzar hielt sein Königsmahl.
    Die Knechte saßen in schimmernden Reih’n,
    Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
    Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
    So klang es dem störrigen Könige recht.
    Des Königs Wangen leuchten Glut;
    Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.
    Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
    Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
    Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
    Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
    Der König rief mit stolzem Blick;
    Der Diener eilt und kehrt zurück.
    Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt;
    Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
    Und der König ergriff mit frevler Hand
    Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand’.
    Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
    Und rufet laut mit schäumendem Mund:
    Jehovah! dir künd’ ich auf ewig Hohn, –
    Ich bin der König von Babylon!
    Doch kaum das grause Wort verklang,
    Dem König ward’s heimlich im Busen bang.
    Das gellende Lachen verstummte zumal;
    Es wurde leichenstill im Saal.
    Und sieh! und sieh! an weißer Wand
    Da kam’s hervor wie Menschenhand;
    Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
    Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
    Der König stieren Blicks da saß,
    Mit schlotternden Knien und totenblass.
    Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
    Und saß gar still, gab keinen Laut.
    Die Magier kamen, doch keiner verstand
    Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
    Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
    Von seinen Knechten umgebracht.“ Entnommen aus: Belsatzar
  3.   Die Ausführungen stellen primär mein generalisiertes Erfahrungswissen dar, mit leichten Bezügen zu bzw. Anregungen von: Mintzbergs’s Management Roles (Vgl. dazu den Beitrag: Was Führungskräfte wirklich tun.) und Schein’s Career Anchors (1.  Vgl. dazu den Beitrag Karriere-Anker.).
  4.   Auch Unternehmer*innen fühlen sich manchmal in einer Art Sandwichstellung zwischen Markt(-erfordernissen) und ihren Angestellten bzw. deren Anliegen. 
  5.   Vgl. den Beitrag Das Selbstverständnis der Führungskraft.
  6.   Vgl. dazu Wolfgang H. Güttel, Astrid Kleinhanns-Rollé: Strategic Leadership durch Orchestrierung der Leadership Value Chains.
  7. Exploitation: Nutzung / Verwertung des Bestehenden. Vgl. z. B. Wolfgang H. Güttel: Strategischer Wandel als dauerhafte Konstante.
  8.   Vgl. dazu Wolfgang H. Güttel, Astrid Kleinhanns-Rollé: Strategic Leadership durch Orchestrierung der Leadership Value Chains.

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