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Die Führungskraft als Multiplikator

Kanadische Gänse in V-Formation. Ein Symbol für den Multiplikatoreffekt. („‚V‘ für Famoose“ – Anmerkung des Fotografen John Benson)

Führungskräfte sind Multiplikatoren. Ihre Führungs-Handlungen, ihre Führungs-Verhaltensweisen, wirken multiplikativ. Demgegenüber wirken ihre operativen Handlungen nur additiv.

Die qualitative Komponente

Der Multiplikatoreffekt hat eine qualitative Komponente: Die Einstellungen, Werthaltungen, Gewohnheiten, Arbeitsstile usw. der Führungskraft wirken stärker als die anderer Team-Mitglieder, haben Einfluss auf Leistung, das Klima / die Stimmung, das Teamverhalten der Mitarbeiter.

Besonders die Stimmungen, das emotionale Gleichgewicht oder Ungleichgewicht der Führungskräfte wirken stark auf die Befindlichkeit und das Verhalten der Mitarbeiter. Es gibt Abteilungen und ganze Unternehmen, in denen sich die Mitarbeiter täglich fragen: „In welcher Stimmung wird der Chef heute wohl in die Firma kommen?“ – und je nachdem richten sie ihr Verhalten aus. Durch seine multiplikative Wirkung ist es Aufgabe jeder Führungskraft, für die eigene emotionale Balance und für die persönliche Weiterentwicklung zu sorgen.

Der Begriff „Multiplikator“ und „Multiplikator-Effekt“ wird meist im positiven Sinn gebraucht. Man meint damit, z. B. in Change-Prozesse beabsichtigte, positiven Effekte, Haltungen, Einstellungen usw. gezielt zu verbreiten, „das Neue in die Welt zu bringen“.

Aber es gibt natürlich auch den negativen Mutliplikatoreffekt: Negative Multiplikatoren werden oft „Verhinderer“ (aus der Sicht des Betrachters) genannt.1 Viele Führungskräfte sind auch unbeabsichtigte Verhinderer: Sie handeln in bester Absicht. aber… „es passiert“, frei nach dem Spruch „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“.

Sie sind z. B. … 2

  • sprudelnder Ideengeber und Visionär, aber die Mitarbeiter verlieren die Übersicht, warten nur mehr, was wieder Neues kommt (wurde z. B. Steve Jobs nachgesagt)
  • „unternehmerische Feuerwehr„, Retter und Problemlöser, aber die Mitarbeiter bleiben unselbständig und übernehmen keine Verantwortung
  • Reformator, ständiger Verbesserer im Sinne von kritischen Feedbackgeber, aber die Mitarbeiter bekommen Angst vor Fehlern und machen nur mehr „nach Vorschrift“
  • Mister Allgegenwärtig, hilft überall, ist über alles informiert, aber die Mitarbeiter werden zunehmend passiver, gleichgültiger.

Ein weiterer Aspekt der qualitativen Multiplikation der Führung ist das Ausmaß, in dem die Führungskraft3 die Potenziale („die Gehirne“) der Mitarbeiter nützt. Manche Führungskräfte handeln (auch oft unbewusst) so, als hätten die Mitarbeiter ihr Gehirn beim Portier abgegeben. Auch der Umgang mit Fehlern wird von der FK ‚multipliziert‘.4

Die quantitative Komponente

Der Mutliplikatoreffekt der Führung

Der Multiplikatoreffekt hat jedoch auch eine quantitative Komponente, die mit der Anzahl der Mitarbeiter (direct reports) und mit der Hierarchie-Ebene steigt.

Ich versuche, dies an einem Beispiel einer neuen Führungskraft zu demonstrieren. Wenn ein Mitarbeiter aus der Gruppe zur Führungskraft aufsteigt, dann arbeitet sie meist zumindest in der Anfangszeit mehr als vorher. Es gibt sogar Fälle, wo die Führungskraft nicht nur die Aufgaben der vorherigen Führungskraft übernimmt, sondern auch noch die bisherigen Aufgaben zum Großteil weiter durchführt. Ob das so sinnvoll ist, sei in Frage gestellt. Aber: Dem Unternehmen entsteht dadurch ein Mehrwert.

Nehmen wir an, die Führungskraft arbeitet um 10 % mehr als bisher. Sehr häufig wird dieses zusätzliche Arbeitspensum in operative Aufgaben investiert. Sie arbeitet Aufgaben ab, die liegen geblieben sind, bessert fehlerhafte oder mangelhafte Arbeiten aus, usw. Dem Unternehmen entsteht dadurch ein Mehrwert: eine Person arbeitet um 10 % mehr (+ 0,1 FTE – full time equivalent – Vollzeitäquivalent). Nehmen wir weiter an, die Führungskraft hat 10 Mitarbeiter und es gelingt ihr durch ihre Führungsaufgaben, die Mitarbeiter zu 10 % höherer Leistung zu bewegen. Dann bekommt das Unternehmen einen Mehrwert von 10 x 10 %, (+ 1 FTE).

Sind die Mitarbeiter eines Chefs auch Führungskräfte, so multipliziert sich der Einfluss weiter. Das entspricht der bekannten Volksweisheit „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“.

Konsequenzen

Führungsaufgaben wahrnehmen – Delegation

Obwohl dem Beispiel viele Annahmen zugrunde liegen, wird klar, wie wichtig es für Führungskräfte ist, Führungsaufgaben wahrzunehmen, um diesen multiplikativen Effekt zu nützen. Dazu ist es meist notwendig,  sich von operativen Aufgaben zu entlasten, um Zeit für Führungsaufgaben zu gewinnen. Es schädigt das Unternehmen, wenn die Führungskraft nicht delegiert und mit operativen Aufgaben überhäuft ist. Dann kommt der Multiplikatoreffekt nicht zum Tragen.

Die Unternehmer bzw. Anteilseigner und deren Organe  haben der Führungskraft Macht und Autorität übertragen, um die multiplikative Führungswirkung positiv im Sinne der Leistungserbringung des Teams einzusetzen. Die Einsicht in diese Zusammenhänge macht es vielen, vor allem den jungen Führungskräften, leichter, Delegationen durchzuführen, die vor allem bei neu ernannten Führungskräfte oft mit einem schlechten Gewissen verbunden ist: „Jetzt, da sie Führungskraft ist, will sie sich abputzen und nichts mehr arbeiten.“ Eigentlich sollte ein schlechtes Gewissen entstehen, wenn sie nicht delegiert.

primäre Führungsaufgabe: Mitarbeiter*innen erfolgreich machen

Mit dem Multiplikatoreffekt lässt sich auch gut der Grundsatz unterstützen, dass es primäre Aufgabe von Führungskräften ist, ihre Mitarbeiter erfolgreich zu machen. Ein guter Vertriebschef z. B. achtet in erster Linie nicht auf die Steigerung der eigenen Umsätze (auch wenn das oft wegen seiner Vorbildwirkung proklamiert wird), sondern auf die seiner Mitarbeiter, da dies Multiplikator-Wirkung hat. Je mehr Mitarbeiter einer Führungskraft zugeordnet sind („direct reports“), desto wichtiger ist dieser Grundsatz.

Die folgende Geschichte illustriert das: Den beiden englischen Premierministern des frühen 20. Jahrhunderts William Ewart Gladstone und seinem Rivalen Benjamin Disraeli wird folgendes nachgesagt: Nach einem Treffen mit Gladstone ist man mit dem Meinung weggegangen, er sei der gescheiteste Kopf der Welt. Nach einem Treffen mit Disraeli war man jedoch der Meinung, man sei selbst der gescheiteste Kopf. Das illustriert den Unterschied, der einen Unterschied macht.5

Wichtig für Führungskräfte: Sich entlasten.

Aus meiner Erfahrung ist ein Großteil der Führungskräfte mit operativen Aufgaben überlastet, sodass wenig bis keine Zeit für die Führungsaufgaben bleibt und der Multiplikatoreffekt nicht zur Wirkung kommt. Auch den Vorgesetzten dieser Führungskräfte stört dies oft nicht, vor allem wenn sie wenig Führungsverständnis haben und selbst operativ überlaste sind. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Die Vorgesetzten erwarten oder verlangen sogar von den ihnen unterstellten Führungskräften, dass sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit den operativen Aufgaben widmen. So wird wertvolle Energie verschwendet.

Aus und Fortbildung der Führungskräfte

Vielen Führungskräften ist es unmöglich, den Multiplikationseffekt zu realisieren, weil sie ihr Führungs-Handwerkzeug nicht professionell gelernt haben. Intuition und natürliche Begabung können dieses Defizit nur unzureichend abdecken.

Viele Organisationen stecken wenig oder gar nichts in die Entwicklung ihrer Führungskräfte oder werten es bewusst ab, wenn sie z. B. meinen: „Hast du das nötig?“ – im Sinn: „Bist du so unfähig, dass du das brauchst.“ Daher ist es Aufgabe des Top-Managements in Zusammenarbeit mit HR / Personalentwicklung auch in die Entwicklung der Führungskräfte auf allen Ebenen zu sorgen („Management Development“).

 

Reflexionsfragen für Führungskräfte

  • In welchem Ausmaß nutze ich den Multiplikatoreffekt der Führung?
  • Inwieweit nutze ich das volle Potenzial meiner Mitarbeiter?
  • Wo könnte / sollte ich mehr delegieren?6
  • Welchen Grad an Professionalität erreiche ich in meiner Führungsarbeit? Wie wirkungsvoll bin ich als Führungskraft?
  • Welche Stimmungen verbreite ich im Unternehmen? Inwieweit habe ich meine Emotionen „unter Kontrolle“ (Das bedeutet nicht gefühllos, gefühlskalt zu sein!) Wieviel wird bei uns gelacht? (Indikator für gute Stimmung)
  • Welche Werte, Gewohnheiten, Arbeitsstile verbreite ich?

 

Querverweise

Das Selbstverständnis der Führungskraft. (Das mentale Modell hinter dem Multiplikatoreffekt)

Arbeitsgespräche im Führungsalltag. (Ein wichtiges Tool für Führungskräfte zur Aktivierung des Multiplikatoreffekts.)

Das Abschlussgespräch im Führungsalltag. (Ein Führungs-Gespräch auf das oft verzichtet wird, um Zeit zu sparen. Es kann den Multiplikatoreffekt reduzieren.)

Der Multiplikatoreffekt der Führung.

 

Zusätzliche Literatur und Links

Teresa Keller: Führungspersönlichkeit als Vorbild und Multiplikator für Fehlermanagement und Vertrauenskultur. In: Corinna von Au (eds): Eigenschaften und Kompetenzen von Führungspersönlichkeiten. Achtsamkeit, Selbstreflexion, Soft Skills und Kompetenzsysteme. Springer Fachmedien. Wiesbaden 2017. pp 137-155. (Kap. 7).  First Online: 01 September 2016 (Reihe: Leadership und Angewandte Psychologie). Springer. Wiesbaden. 2017. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13031-2_7.

  1.   Marco Schröder („Motivierende Führung„) nennt sie „Imperiumsgründer, Tyrann, Besserwisser, Entscheider, Mikromanager“ im Gegensatz zu den positiven Multiplikatoren „Talent Magnet, Befreier, Herausforderer, Diskussionsförderer, Investor)
  2.   vgl. Marco Schröder: Motivierende Führung
  3.   Das gilt auch für andere Multiplikatoren, vor allem auch Change Agents, vgl. z. B. Berner: Multiplikatoren
  4.   Vgl. z. B.    Teresa Keller: Führungspersönlichkeit als Vorbild und Multiplikator für Fehlermanagement und Vertrauenskultur.  
  5.   Dieses Prinzip stammt von Gregory Bateson: „Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht“ (Ökologie des Geistes, S. 582)
  6.  Marco Schröder bezeichnet seine Aufforderung als „Supersize the Job“

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