Sich einlassen – zulassen – loslassen

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Gemälde von Paul Cézanne: Harlequin, 1888-1890. Das Harlekin-Prinzip symbolisiert den ‚Genius des Lebens‘. Purzelbaumschlagend wirkt der Harlekin subversiv auf die starren Ordnungs-Strukturen der Welt, öffnet geschlossene Türen und ermöglicht das ‚Sich-Einlassen“ auf Neues, Ungewohntes, auf die Zwischenräume des Lebens.1
Sich einlassen und zuzulassen sind wichtige Verhaltens- und Erlebnis-Qualitäten im Zusammenhang mit Unternehmensführung. Sie erfordern vor allem weibliche (Yin-) Qualitäten in unserer Persönlichkeit, die eine wichtige Ergänzung zu den aktiven, gestaltenden (Yang-) Qualitäten darstellen.

Sich einlassen

Worauf sollte ich mich als Führungskraft / Unternehmer einlassen?

  • Auf die Situation, vor allem auf die neue Situationen / Veränderungen
  • Auf andere Personen, besonders auf meinen Chef und auf meine Mitarbeiter
  • Auf mich selbst

 

1. Einlassen auf die Führungs- / Unternehmens-Situation

Für viele Führungskräfte ist die Führungs-Situation nicht befriedigend. Es gibt nicht unbeträchtliche Probleme, zumindest Herausforderungen, die nicht leicht bewältigbar sind.

Es gilt zunächst, diese Situation zu diagnostizieren zu akzeptieren. Dazu muss ich mich als Führungskraft kompetent machen und mir genügend Zeit nehmen.

Welche Kompetenzen sind dazu erforderlich?

  • Helocopter View

Um gut diagnostizieren können muss ich zum Führungsalltag auf Distanz gehen. Ich sollte eine Einstellung einnehmen, das ich mich von einem erhöhten Standpunkt (helicopter power, Adlerperspektive, …) auf meinen Führungsbereich / mein Unternehmen und mein Leben herab blicke.

In der Gestaltpsychologie und auch in der sinnorientierten Psychotherapie von Viktor Frankl kennt man die Übung „Lebensberg„: Man geht innerlich (mental) auf den eigenen Lebensberg und schaut aus dieser Perspektive hinab: auf sein Unternehmen, die berufliche Situation, sein privates Leben usw. Mit dieser Übung schult man sein intuitives Verständnis über die eigene Lebens-Situation. Man kann natürlich die Übung auch auf  einen bestimmten Lebensbereich, z. B. den beruflichen bzw. das eigene Unternehmen beschränken.2

In der Psychosynthese kennt man den mentalen Zustand (oder Prozess) der Dissoziation (im Gegensatz zum assoziierten Zustand), der auch darin besteht zu dem betrachteten Objekt einen distanzierten Standpunkt einzunehmen.

Auch zur PSI-Theorie von Julius Kuhl  gibt es einen Konnex / Bezug zum  distanzierten Standpunkt: Man nennt ihn dort „Fehlererkennung“.

Die Diagnose aus dem helicopter view ermöglicht (fast von selbst), den nächsten notwendigen Schritt zu gehen.

  • Lernen zu fragen  / den Gesamtzusammenhang erkennen

Das Wissen, um die Gesamtsituation zu erkennen ist nie bei einer Person allein, es ist auch bei anderen Personen. Eine komplexe Situations-Diagnose umfasst immer auch Gespräche mit anderen Personen. Um Wissen zu erlangen ist Fragen wichtig. Fragetechnik ist dabei nur eine Seite der Medaille, echtes Interesse am Wissen Anderer zur haben und neugierig darauf zu sein, ist die andere.

  • nicht nur rationale, auch intuitive Sichtweisen einbeziehen

Rationale Analyse ist nur ein Teil der Diagnose, intuitives Erkennen der dahinterliegenden Muster ist der andere Teil

  • mit einer offenen Einstellung an die Diagnose herangehen, Ohne Vorurteile

Es gibt Menschen, die glauben, schon alles zu wissen, bevor sie die Diagnose erstellen. Eine fragende Haltung führt zu neuen Erkenntnissen. Eine wissende Haltung führt nur dazu, bisheriges Wissen zu bestätigen.

  • Aufmerksamkeit, Beobachtung

Für eine Führungskraft ist es z. B. wichtig zu erkennen, wie die Mitarbeiter ‚ticken‘: Welche Bedürfnisse sie haben, wie sie mit Problemen umgehen, was ihre Einstellungen zu bestimmten Angelegenheiten ist, usw. Gespräche zu führen und Fragen zu stellen ist eine Möglichkeit, um das zu erfahren. Eine aufmerksame Haltung im Führungsalltag einzunehmen und zu beobachten und Muster zu erkennen ist eine andere. Aufmerksamkeit ist nur möglich, wenn ich auch Zeit für meine Mitarbeiter habe und mich von operativen Überlastung freimachen kann, um mich den wichtigen Dingen zu widmen. ‚Nicht im Unternehmen zu arbeiten‘, sondern ‚für das Unternehmen arbeiten‘, lautet hier das Motto.

  • Es ist, was es ist

Es ist wichtig, die Situation zu erkennen. Ein nächster Schritt ist, sie zu akzeptieren. Wir sind aufgefordert nicht zu jammern und uns selbst zu bedauern (Selbstmitleid), sondern das Beste aus der Situation zu machen: die richtige Antwort auf die Herausforderungen des Lebens zu geben. Ein Gedicht von Erich Fried hilft uns, das zu verstehen.

  • Hier und jetzt

Sich einlassen erfordert ein Leben im Hier und Jetzt. Wer immer nur in der Vergangenheit lebt oder ständig an die Zukunft denkt, dem fehlt die Aufmerksamkeit für das Einlassen in die aktuelle Situation. Eine Zen-Geschichte vertieft das.

  • Veränderungen erkennen und akzeptieren

Eine Form des Einlassens – und das ist eine besondere Herausforderung für viele – ist das Sich Einlassen auf Veränderungen, auf Change. (Globale und regionale) Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und aktiv ins eigene Unternehmen und ins eigene Leben zu integrieren erfordert es, die Komfortzone zu verlassen und sich Risiken auszusetzen. Mittel- und langfristig ist es allerdings noch risikoreicher, den Wandel nicht zu beachten, ihn zu ignorieren. Krisen sind die Folge.

2. Einlassen auf andere Personen

Als Führungskraft und Unternehmer muss ich mich auf die wichtigen Personen (Bezugspersonen) einlassen.Dazu gehören u.a. meine Mitarbeiter, mein Chef, meine Kunden usw.

  • Einlassen auf meine Mitarbeiter

Mitarbeiter oder Menschen? Führungskräfte wünschen sich meist produktive Mitarbeiter im Sinne von Funktionsträger: Personen, die ihre Aufgaben gut erledigen. Was sie bekommen sind komplexe Menschen mit ihren Besonderheiten, Gewohnheiten, Bedürfnissen, Ecken und Kanten usw. Als Führungskraft ist es wichtig, den Menschen hinter dem Funktionsträger zu erkennen.

Stärken nutzen: Eine wichtige Qualität für Führungskräfte ist die Kompetenz, Mitarbeiter nach ihren Stärken einzusetzen.  Das ist nur möglich, wenn ich mich auf sie einlasse und ihre Stärken erkenne.

Polarität Einlassen (Nähe) – Distanz: Sich einlassen auf Mitarbeiter ist verbunden mit Nähe. Natürlich ist grenzenlose Nähe nicht das Ziel. Ich sollte als Führungskraft die für mich und meine Mitarbeiter passende Balance zwischen Einlassen / Nähe und Distanz / Abgrenzung finden.

Kreativer Ausgleich zwischen Bedürfnissen und Anforderungen: Nur wenn ich mich auf meine Mitarbeiter einlassen kann, ist es möglich die wichtige Balance zu finden zwischen Bedürfnissen auf der einen Seite und betrieblichen Anforderungen auf der anderen Seite.

  • Einlassen auf Kollegen und Chef

Ähnliches gilt auch für meine Kollegen und Chefs. Es lohnt sich, sie in ihren Persönlichkeiten, Bedürfnissen, Gewohnheiten, Denkweisen usw. zu erforschen. Meine Aufgabe als Führungskraft ist nicht nur Führen nach unten (Mitarbeiter) sondern auch nach oben (Chefs) und auf die Seite. Führen hat hier eine etwas andere Bedeutung und betont vor allem die aktive Gestaltung der Beziehung. Ganze Unternehmungen können z. B. florieren oder darniederliegen, inwieweit es Geschäftsführern gelingt, ihre Beziehung zu den Geschäftsführer-Kollegen zu gestalten und konstruktiv zusammenzuarbeiten.

3. Einlassen auf sich selbst

Nicht zuletzt ist es auch entscheidend, wie sehr ich mich auf mich selbst einlassen kann, inwieweit ich mich so nehmen und akzeptieren kann, wie ich bin (Selbstakzeptanz), mit all den Ecken und Kanten meiner Persönlichkeit. Auf einer oberflächlichen Ebene (des Verhaltens) mag das als eine relativ einfache Sache erscheinen.  Auf der Tiefenebene der Persönlichkeit bedeutet das, die dunklen Seiten meiner Psyche / Seele zu erforschen, zu akzeptieren udn sie auf konstruktive Weise in mein inneres und äußeres Leben zu integrieren („Schattenarbeit“)

Zulassen

Zulassen betrifft den Umgang mit Grenzen.

Grenzen zu setzen, sich abzugrenzen und Nein sagen können ist eine wichtige Kompetenz des Selbstmanagements.

Passives Zulassen ist ein Mangel. Es bedeutet, dass ich Grenzüberschreitungen zulasse, weil ich Konflikten ausweiche, weil ich nicht den Mut habe, die Überschreitung anzusprechen oder weil ich einfach wegschaue. Das führt meist dazu, dass sich die Probleme verstärken, dass unnötige Konflikte entstehen, dass Unzufriedenheit zunimmt usw.

Aktives, bewusstes Zulassen von Grenzüberschreitungen, Ausnahmen, Sonderregelungen sind jedoch eine Stärke. Es bedeutet, ich schaue nicht weg, ich schaue hin, erkenne die Grenzüberschreitung und akzeptiere sie bewusst  für eine bestimmte (Ausnahme-)Situation, für eine bestimmte Person, für eine bestimmte Zeit, weil ich dafür besondere Gründe habe.

Beispiel

Das kann z. B. bedeuten, dass ich erkenne, dass ein Mitarbeiter sich in einer Krisensituation befindet (z. B. Ehekrise, Scheidung, …) und nicht die Leistung erbringt, die ich als Führungskraft erwarte. Dann kann es sinnvoll sein, nicht ein Kritikgespräch mit dieser Person zu führen oder den Druck zu erhöhen, sondern im Gegenteil Druck wegzunehmen, ihn von Aufgaben- und Leistungsdruck zu befreien, um ihm so zu ermöglichen die Krise zu bewältigen. Langfristig kann dies zu sehr positiven Wirkungen bei diesem und auch bei anderen Mitarbeitern führen, weil ich meiner Führung ein sehr menschliches Gesicht gegeben habe.

Loslassen

Eine weiter „Qualität des Lassens“ ist das Loslassen. Das Loslassen von alten, überholten Dingen und Aspekten, die für mich keine Bedeutung mehr haben. Entrümpeln, Ausmisten, Ballast loswerden –  von Gegenständen, von Gewohnheiten, von Rollen, von Tätigkeiten, von Dingen mit niederer Priorität, von operativen Lasten usw.gehört dazu

Zusätzliche Links und Literatur

Einlassen

Claudia Ahl: Verbindlichkeit und sich einlassen als Basis für Erfolg.

Daniela Polenz: Wie gut kannst du dich einlassen? Aus: www.danielapolenz.de. https://www.danielapolenz.de/wie-gut-kannst-du-dich-einlassen/.

 

Harlikin und das Harlekin-Prinzip als Symbol des ‚Sich-Einlassens‘

Rudolf Münz, Gisbert Amm: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Schwarzkopf. Berlin 1998, S. 60–63

Stefan Hulfeld: Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis. Wie Wissen über Theater entsteht. Chronos, 2007.

Ina Hemmelmann: Kasperls Wurzeln. Elemente des Harlekin-Prinzips im Kasperltheater. GRIN Verlag, 2019.

 

  1. Vgl. Münz, Theatralität.
  2. Viktor Frankl, der Begründer der sinnorientierten Psychotherapie hat die Rax als seinen ‚Lebensberg‘ bezeichnet und auch das äußere Bergsteigen dazu benützt, Abstand und Überblick zu gewinnen.

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