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Die Familien-Situation in Familien-Unternehmen

Die Familie“  (kauerndes Menschenpaar). Gemälde von Egon Schiele 1918. Belvedere, Wien.

Familien-Unternehmen und Familien sind komplexe soziale Gebilde. Ihr Zusammenwirken wirft viele Fragen auf.

Einige davon (aus einschlägigen Seminaren) sollen hier stichwortartig beschrieben werden.

 

Wie kann ich bei der Erforschung meiner Familie vorgehen?

  • Gespräche mit Familien-Mitgliedern, vor allem Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten, …
    In vielen Familien gibt es eine zentrale Person, die das Wissen einer Familie bzw. eines Familienzweigs gespeichert hat. Finde sie heraus und sprich mit ihr.
  • Alte Foto-Alben anschauen, mit  jemanden darüber sprechen.
  • Suchen eines Familien-Stammbaums bzw. Teilen davon. Gibt es keinen: Erstelle ihn.
  • Erstelle aus dem Stammbaum ein ‚Genogramm‘ – ein „psychologischer Stammbaum“
  • Erkenne daraus, wieviel Dynamik in deiner Familie bzw. Teil-Systemen der Familie vorhanden ist. Versuche diese Dynamiken zu klären und wenn möglich zu bereinigen (z. B. Kontaktaufnahme zu ausgeschlossenen bzw. isolierten Familien-Mitgliedern, Bereinigung von Konflikten, …)

Wie beeinflussen sich Familie und Unternehmen gegenseitig? Was sollte man da beachten?

  • Familien-Mitglieder haben im Familien-Unternehmen meist eine zentrale Rolle („hohe Zentralität“), selbst, wenn ihr offizieller Status gering ist.
  • Häufig ist es sogar so, dass alle Familien-Mitglieder allen Angestellten Anweisungen erweisen dürfen. Das sollte bereinigt werden, da es häufig zu Spannungen und Konflikten führt, vor allem wenn unterschiedliche Familien-Generation im Unternehmen sind (Generation X, Y, Z) mit unterschiedlichen Werten und unterschiedlichen Umgangsformen zu Mitarbeiter*innen.
  • Umgekehrt spielt auch das Unternehmen eine zentrale Rolle in Unternehmer-Familien. Häufig wird auch in Familien-Treffen, z. B. beim Abendessen fast nur über das Unternehmen gesprochen. Nicht wenige Geschäftsführer-Meeting finden während der familiären Mahlzeiten statt. Auch hier sollte eine Regel eingeführt werden, zumindest zu bestimmten Zeiten nicht über das Unternehmen zu reden. Die Familie sollte nicht „für’s Unternehmen geopfert werden“.

Was ist der „psychologische Vertrag“ und wie beeinflusst er das Geschehen im Unternehmen und in der Familie?

  • Sowohl in familiären als auch beruflichen / unternehmerischen Rollen sind Erwartung an Andere und von Anderen enthalten. Es gibt zusätzlich zu offiziellen Verträgen (z. B. Arbeitsverträge) auch psychologische Verträge (Das Konzept des psychologischen Vertrags stammt von Edgar Schein.1). Diese beinhalten gegenseitige ‚implizite‘ Erwartungen, d. h. Erwartungen, die nicht ausgetauscht und ausgehandelt werden, oft nicht einmal der Person selbst, die  diese Erwartungen stellt, bewusst sind. Sie werden erst bewusst, wenn der Andere Verhaltensmuster zeigt, die außerhalb dieser Erwartungen liegen. Enttäuschte Erwartungen bzw. nicht eingehaltene psychologische Verträge können sehr negative Auswirkungen auf die Qualität von Beziehungen, auf Leistung und Klima haben.
  • Ein Beispiel: Der Vater und Unternehmer eines großen Kaufhauses ist in den späten 50er Jahren und fragt seine einzige Tochter, die ein Studium absolviert hat, ob sie bereit ist, das Unternehmen zu übernehmen. Die Tochter stimmt freudig zu. Vater und Tochter haben zwar bisher schön öfter „so nebenbei“ in der Familie darüber gesprochen, jetzt ist es offiziell geworden. Es wurde vereinbart, dass als 1. Schritt die Tochter vorerst eine größere Abteilung selbständig übernimmt (führt).
    Nach einem Jahr wurde Bilanz gezogen. Die Abteilung hatte in dieser Zeit eine deutliche Steigerung des Umsatzes und des Deckungsbeitrags. Die Tochter hatte regelmäßige Arbeitsgespräche und Team Meetings mit ihren Mitarbeiter*innen eingeführt – erfolgreich, wie sie betonte. Auch ein Delegationsplan wurde realisiert und eine Stellvertreterin aufgabaut. Da gab es zwar am Anfang Schwierigkeiten, Ihre Mitarbeiter*innen waren nicht gewohnt selbständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen, aber jetzt „hat es gefunkt“ und sie ist sehr froh darüber. Sie bilanzierte das als vollen Erfolg.
    Aber der Vater war enttäuscht. Er war enttäuscht, dass sie so wenig Einsatz gezeigt hatte.  Sie hatte wenig Überstunden zu verzeichnen, mit ihrem Freund die Wochenende und einen zweiwöchigen Urlaub verbracht. Er hatte nicht das Gefühl, dass sie sich voll für das Unternehmen einsetzt. Mit diesem Einsatz werde sie nie ein Unternehmen führen können.
    Ihr Gegenargument: Sie wolle nicht – wie ihr Vater das ganze Leben schon – Tag und Nacht im  Unternehmen arbeiten und die Beziehung bzw. die Familie vernachlässigen. Außerdem kritisiert sie, ihr Vater habe sich zu sehr bei der Führung ihres Bereichs eingemischt und sie zu wenig selbständig arbeiten lassen. Es folgten noch einige Gespräche, die auch mit Ärger, Frust und Enttäuschungen verbunden waren. Aber es waren sinnvolle und not-wenige Ent-täuschungen.
    Schließlich einigten sie sich gütlich, fast freundschaftlich. Der Vater übernahm wieder die Abteilung der Tochter, das Nachfolge-Projekt wurde abgeblasen. Und die Tochter suchte und fand eine herausfordernde Stelle in einem anderen Unternehmen. Auch das beeinträchtigte Familienleben hat sich wieder entspannt, auch die Mutter hatte vorher sehr unter den Vater-Tochter-Streitgesprächen in der Familie sehr gelitten.
  • Dies ist ein Beispiel für deutliche Auswirkungen der Verletzung eines psychologischen Vertrags, der vorher nicht ausgehandelt wurde. Es war auch vorher gar nicht im Bewusstsein der Beteiligten, welche Erwartungen des Gegenübers zu Konflikten führen könnten. Beide haben gelernt.

Beeinflussen die Prägungen unserer Herkunfts-Familie wirklich heute noch unser Verhalten und unsere Entscheidungen im Unternehmen?

  • Ja, wir haben seit unserer Kindheit kognitve Landkarten (Maps, Einstellungen, Sichtweisen, Perspektiven, Werte, Verhaltensmuster) aufgebaut, die stabil in uns verankert sind und unser Verhalten und Erleben, unsere Wahrnehmungen, Einstellungen, Werte und Entscheidungen beeinflussen.
  • Es ist wichtig, sich dieser Prägungen bewusst zu sein, um das eigene Wahrnehmungs- und Verhaltens-Repertoire zu reflektieren und zu erweitern, die Introjekte, z. B. die Botschaften der Eltern durch eigene, authentische Anteile, z. B. Selbst-Botschaften zu ersetzen.

Manche sprechen von einem psychische Erbe der Eltern. Was versteht man darunter und wie wirkt es sich aus?

  • Auch unsere Eltern haben von ihren Eltern und anderen Personen Prägungen erhalten, die wahrscheinlich noch zumindest zum Teil im Unbewussten gespeichert sind.
  • Je stärker diese Prägungen im Unbewussten verankert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie es an uns weitergegeben haben, zumindest dies versucht haben.
  • Je besser wir unsere Vergangenheit aufgearbeitet, unsere psychischen Verletzungen verarbeittet und unser Unbewusstes erforscht haben, desto höher ist Wahrscheinlichkeit, dass wir diese von außen eingepflanzten Anteile (Introjekte) wieder losgeworden sind und unser eigenes, authentisches Leben führen und liebevoll mit unseren Familienmitgliedern umgehen können.

Welchen Einfluss haben Geschwister-Liebe und -Konkurrenz?

  • Geschwister-Beziehungen werden oft unterschätzt. Schon in der Kindheit können positive Geschwister-Beziehungen großen Einfluss haben, z. B. die (unvermeidlichen) Fehler der Eltern ausgleichen und helfen, Familien-Krisen zu bewältigen. Man merkt das z. B. auch, wenn man erkennt, wie schädlich es für Geschwister ist, wenn sie durch Trennung der Eltern gegen ihren Willen getrennt werden, was Gottseidank relativ selten geschieht.
  • Auch im Erwachsenen-Alter können positive Geschwister-Beziehungen die Lebensqualität fördern und Stabilität in Krisen geben. Sind diese Bande jedoch stärker als zum Partner, kann das die Partnerschaft beeinträchtigen.
  • Umgekehrt weiß man, wie stark negative Geschwister-Beziehungen, vor allem Kontaktabbrüche das Leben der betroffenen in den Schatten zieht.

Reicht es, in einem Familien-Seminar oder einem Coaching eine Diagnose der eigenen Lebens-Situation und der Work-Life-Balance zu machen oder sollte man das öfters tun?

  • Die Qualität meines Lebens, vor allem auch meines Familien-Lebens wirkt sich deutlich auf mein inneres Erleben, meine Zufriedenheit, meine persönliche Entwicklung und meine Selbst-Wirksamkeit … aus. Daher ist es sinnvoll, sich in regelmäßigen Abständen (z. B. jährlich) eine Auszeit zu nehmen und eine persönliche Standortbestimmung vorzunehmen, die auch das Familienleben und die Work-Life Balance zum Gegenstand macht.
  • Die kann allein geschehen, z. B. Rückzug in die Natur oder in Gesprächen mit einer vertrauten Person oder im Rahmen eines geeigneten Seminars, …

Stimmt es, dass die Rolle des Partners / der Partnerin in Familienunternehmen besonders schwierig ist?

  • Ja, Partner in Familienunternehmen haben es oft schwieriger als Personen mit anderen beruflichen Orientierungen. Das hat mehrere Gründe.
    • Töchter und Söhne von Unternehmer*innen sind oft weniger als gewöhnlich von ihren Eltern gelöst, besonders wenn die Eltern im Unternehmen mitarbeiten bzw. das Unternehmen führen. Beide sind mit dem Unternehmen stark verhaftet, das macht eine Loslösung schwierig. Besonders schwierig ist es, wenn beide Seiten am gleichen Standort, meist dem Unternehmens-Standort wohnen oder sogar gemeinsam essen.
    • Das Unternehmen zieht oft viel (Leben-)Zeit und (Lebens-) Zeit an sich. Wenn man nicht aufpasst, fehlt die Zeit dann für sich selbst (Ich-Zeit, fehlende Ich-Zeit beeinträchtigt die Lebensstimmung und macht oft ’sauer‘) und für die Familie (das beeinträchtigt die Qualität des Familien-Lebens. Ist die Qualität des Familien-Lebens beeinträchtigt, so sinkt die Attraktivitä der Zeit mit der Familie und viele flüchten dann noch mehr in Arbeit, wodurch ein negativer Kreislauf (Teufelskreis) entstehen kann
  • Besonders schwer haben es meiner Erfahrung nach „eingeheiratete Partner“. Häufig stehen sie skeptischen Schwieger-Eltern gegenüber, die im Unternehmen (und oft auch in der Großfamilie) das Sagen haben. Offene oder versteckte Vorwürfe und Ablehnung der Schwiegereltern „Sie ist nicht die Passende für unseren Sohn“, „Er hat sich ins gemachte Nest gesetzt und will jetzt im Unternehmen mitreden.“ und ähnliche negative Botschaften machen das gemeinsame Leben schwer.

Wenn Eltern und Partner*in unterschiedliche Vorstellungen und Prioritäten haben, und man dazwischen steht, welche sind dann wichtiger?

  • Grundsätzlich sind die eigenen Vorstellungen, Werte und Prioritäten die zentralen. Ich sollte mein Leben so weit wie möglich danach ausrichten, sie jedoch mit dem Partner / der Partnerin abstimmen.  Im Zweifel sind jedoch die Vorstellungen der Partner die wichtigeren. Man sollte sein Leben nicht nach den Vorstellungen der Eltern ausrichten.
  • Die eigene, zentrale Verantwortung gegenüber Anderen gilt der eigenen Partner*in und den gemeinsamen Kindern, nicht primär den Eltern. Das heißt nicht, dass man keinen Kontakt zu ihnen halten sollte (im Gegenteil) oder nicht Dankbarkeit zeigen kann und soll. Aber die zentrale Energierichtung sollte von Eltern zu meiner Gegenwartsfamilie und weiter zu meinen Kindern nach vorne gehen, nicht rückwärts (Vgl. ‚Ordnungen der Liebe‘)

Was sind typische Probleme und Baustellen in und mit Unternehmer-Familien?

Die Probleme sind ähnlich wie in anderen (nicht-unternehmerischen) Familien auch, bestimmte Probleme jedoch häufiger oder deutlicher, z. B.:2

  • Parentifizierung: Sohn oder Tochter in der Partner-Rolle: Die Gefahr ist heri besonders gegeben, wenn ein Elternteil schwer erkrankt oder stirbt und der andere Elternteil gemeinsam mit Sohn oder Tochter die Geschäftsführung übernimmt.
  • Abhängigkeit / fehlende Loslösung von den Eltern – begünstigt durch die starke Bindung von Eltern und Kinder an das Unternehmen.
  • Negative Familien-Dynamik, beispielsweise auch hervorgerufen durch Streitigkeiten bei der Nachfolge (wenn andere Familienmitglieder nicht oder nicht genügend eingebunden werden oder wenn Nachfolger der ursprünglichen Gründer aus zwei verschiedenen Familienzweigen kommen) oder durch Geschäftsführungs-Mitglieder aus unterschiedlichen Generation mit unterschiedlichen Vorstellungen oder auch durch offensichtliche Bevorzugung eines Kindes – meist die Nachfolger*in.

Was sind wichtige Energiequellen in der Familie? Wie kann man sie stärken?

  • Work-Life-Balance
  • Selbst-Fürsorglichkeit. Ich-Zeit.
  • Zeit für Partnerschaft (ohne Kinder).
  • Zeit für Freunde.
  • Offene Gespräche.
  • Konflikte lösen, meistern.
  • Schwierige Situationen gemeinsam meistern.
  • Anregende Urlaube.
  • Die Partner so akzeptieren wie sie sind – nicht ändern wollen.
  • Humor, gemeinsam lachen können.
  • Gemeinsame Werte finden ohne zu moralisieren.
  • Individuelle Freiheit – nicht alles miteinander machen müssen.
  • Für Haushalt Unterstützung suchen.
  • Grenzen setzen. Persönliche Grenzen achten.
  • Familienforschung. Der Familie auf die Spur kommen. Familien-Muster erkennen.
  • Familien-Geheimnisse offen legen.
  • Familien-Aufstellungen.
  • Abgebrochene Kontakte beleben.

Querverweise

Links

Maria Bischof, Julia Pichler-Roßbach, Otmar Pichler, Claudia Fried: Die Familie als Kraftquelle für das Unternehmen. (Seminar der Rid-Stiftung). Aus: rid-stiftung.de. https://rid-stiftung.de/foerderprogramm-2020/id-19-die-familie-als-kraftquelle-fur-das-unternehmen.html#main.

 

 

  1.   Vgl. Edgar Schein, Organizational Psychology   
  2.   Hinweise finden sich im Beitrag: Familien-Probleme   

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