Ein ungezähmtes Leben – Die harte Schule des Großvaters – Filminterpretation

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Ich möchte auch diesen Film aus der Entwicklungsperspektive interpretieren – vor allem aus der Sicht der persönlichen Entwicklung aber auch um die Entwicklung des Familien-Systems. Eine Kurz-Zusammenfassung des Films habe ich in einem eigenen Beitrag geschrieben. 1

Der Protagonist und seine Ausgangs-Situation.

Wer ist der Protagonist? Bei wem findet die   zentralen Entwicklungsschritte statt? Es ist in diesem Film unzweifelhaft Einar, gespielt von Robert Redford. Er und die Beziehung zu seiner Enkelin, Griff stehen im Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses.

Einar lebt in einer problematischen Situation und auch sein Innenleben scheint gestört.  Er hat vor ca. 10 Jahren seinen Sohn verloren, sein Ein und Alles. Und er hat sich daraufhin äußerlich und innerlich zurückgezogen auf seiner Ranch. Er hat seine Rinder verkauft, um die Ranch erhalten zu können, arbeitet und lebt auf einem Minimum-Level. Seine Ranch ist verkommen, das merkt man besonders, als er seiner Schwiegertochter nach langem Zögern ein Zimmer zur Verfügung stellt, in der sie wohnen kann, bis sie genug Geld zur Weiterreise verdient hat. Das Zimmer ist eine Gerümpelkammer im schlechtesten Sinn. Die ganze Ranch wirkt verwahrlost.

Früher hat Einar die Ranch zusammen mit seinem Sohn, seinem Freund Mitch und seiner Frau geführt. Jetzt ist er alleine. Sein Sohn ist tot, seine Frau ist mit einem anderen Mann weggezogen und sein Freund Mitch ist schwer behindert, weil er von einem Bären angefallen wurde. Man erfährt im Laufe des Films, dass er seiner Schwiegertochter die Schuld für den Tod seines Sohnes zuschreibt. Sie hat das Auto gesteuert und in den Graben gefahren. Und er gibt sich selbst die Schuld für die Situation von Mitch, weil er zum Zeitpunkt des Überfalls des Bären voll betrunken war und ihm deswegen nicht helfen konnte. Seither hat er dem Alkoholgenuss abgeschworen und eine volle Schnapsflasche hat er als Symbol aufbewahrt, sie blieb lange unangetastet. Er führt also ein unglückliches, karges, tristes Leben.

Nur in der Versorgung und Pflege von Mitch hat er noch eine Aufgabe und ab und zu fährt er in die Stadt besucht dort sein Stammlokal und hat eine positive Beziehung zur Besitzerin / Kellnerin des Lokals. Robert Redford weist in einem Interview darauf hin,dass diese Art zu leben und die Persönlichkeit von Einar dem entspricht, was früher die Siedler, die in den Westen Amerikas gezogen sind, erlebt haben.

Das Leben von Einar ist in einer Dauerkrise und auch In seiner Persönlichkeit wirkt er unglücklich, zurückgezogen, karg, oft unfreundlich, unzugänglich oder sogar abweisend zu Anderen.

Zudem hat er keine Beziehung zum Rest seiner Familie: Seiner Schwiegertochter und deren Tochter, seiner Enkelin Griff. Er weiß bis zu ihrem Erscheinen nicht einmal, dass er eine Enkelin hat. Mit seiner Schwiegertochter will er nichts mehr zu tun haben.

Wenn man sich vorstellt, dass er sein Leben so weiterführt bis zu seinem Ende, es wäre ein nicht geglücktes, unerfülltes Leben, auf das er zurückschauen würde und auf eine erstarrte persönliche Entwicklung. In der aktuellen Fachterminologie könnte man von einer PTBS, einer post-traumatischen Belastungsstörung reden.

Das zentrale EntwicklungsthemaBildergebnis für ein ungezähmtes leben

Man ahnt schon, das zentrale (Entwicklungs-)Thema im Film ist Schuld und Sühne auf der einen Seite und Verzeihen / Vergeben bzw. Nicht-Vergeben-Können auf der anderen Seite, das diesen Stillstand im Leben verursacht hat.  Jennifer Lopez sagt dazu in einem Interview zum Film, dass Einar in der Vergangenheit verhaftet bleibt und deswegen dieses unvollendete / unerfüllte Leben („unfinished life„) führt. Er und auch die anderen Beteiligten hörten seit dem Unfall auf zu Leben.

Dieses ‚unfinished-life-Erleben‚ ist etwas, das im übertragenen Sinn viele Führungskräfte, Unternehmer, Experten auch kennen. Sie haben aufgehört zu leben und existieren nur mehr für ihren Beruf, ihre Arbeit, ihr Geschäft, ihr Unternehmen. Mitch, der im Film die symbolische Rolle des „Alten Weisen“ spielt, macht Einar auf diese Situation und sein Verhalten aufmerksam. Einar, antwortet, dass ihm alles das Leben seines Sohnes nicht zurückgeben kann. Und Mitch antwortet ihm: „Aber du lebst, und deine Enkelin auch.“

Auch Lasse Hallström, der Regisseur erzählt im Interview im making of, dass es ein Film über das Verzeihen-Können ist, aber auch über Natur, den natürlichen Instinkten und dem Bedürfnis nach Freiheit. Im Film wird dies vor allem durch den Bären symbolisiert.

Jennifer Lopez weist im Interview darauf hin, dass es nicht nur um das Verzeihen von Anderen geht, sondern auch darum, sich selbst verzeihen zu können.

Einige Entwicklungsanlässe und Entwicklungsschritte des Protagonisten

Welche Anlässe und Aktionen haben jetzt zur Entwicklung des Protagonisten beigetragen?

  • Die Schwiegertochter Jean und ihre Tochter Griff tauchen plötzlich auf. Das bringt die Handlung erst in Bewegung. Einar wird damit konfrontiert, dass er Opa ist. Es ist der Entwicklungsprozess einer anderen Person, Jean (sie verlässt ihren gewalttätigen Freund), die ihn zu seiner Entwicklung veranlasst.
  • .Die Enkelin Griff erinnert Einar in ihrer Person und ihrem Verhalten an seinen Sohn Dies und die vielen Fragen von Griff an ihn zwingen ihn zum Nachdenken.
  • Auch die Gespräche mit Mitch konfrontieren ihn mit seinem Verhalten und seiner Einstellung und lassen ihn nachdenklich werden.
  • Einar gibt Griff ‚echte‘ Aufgaben, z. B. Mitch mit Essen zu versorgen, wenn er in die Stadt fährt.
  • Eine Krise wird gemeistert. Als Einar in der Stadt ist, bekommt Mitch einen lebensbedrohlichen „Anfall“ und Griff gibt ihm die rettende Injetkion.
  • Eine bedrohliche Situation wird gemeistert, als Gary, der gewalttätige Ex-Freund in die Stadt kommt und Jean und Griff mit Gewalt zurückholen will.
  • Jean kocht für alle und lässt dabei einen Teller fallen. Dabei kommt es zu einem Streitgespräch und später zu einer Aussprache über den Hergang des Unfalls und den Schuldzuschreibungen. Jean zieht nach dem Streitgespräch mit ihr er Tochter aus und zwar zu ihrer Freundin und Arbeitgeberin, der Lokalbesitzerin des Stammlokals von Einar. Griff läuft jedoch von ihrer Mutter weg zu Einar und bekräftigt so ihre Zugehörigkeit zur Familie von Einar.
  • Einar erfüllt Opa-Aufgaben: er lernt seiner Enkelin Autos zu reparieren bzw. mit Werkzeug umzugehen, später Lasso werfen, Reiten und dann auch Autofahren.
  • Gespräche mit Mitch: Mitch macht ihm klar, dass Unfall und Schuld zwei verschiedene Dinge sind. Besonders sie Gespräche über den Bären bewirken viel. Ist es Schuld des Bären, dass er Mitch angegriffen hat? Nein, es ist seine Natur, wenn man ihn beim Essen stört.
  • Selbstgespräche am Grab seines Sohnes. Einar besucht regelmäßig das Grab seines Sohnes und führt dort Gespräche mit ihm, also Selbstreflexions-Gespräche.
  • Aktion mit dem Bären: Mitch verlangt von Einar zuerst, dass er den Bär besucht, dann dass er ihm Essen bringt und später, dass er den Bären befreit. Die ‚Schuldzuweisung‘ an den Bären wird so überwunden: „Das liegt in seiner Natur“. Und als Griff aus Versehen den Schaltheben betätigt, der Wagen ins Rollen und der Bär so entflieht, gibt Einar seiner Enkelin keine Schuld: „Es ist passiert“ Hier wird sehr deutlich an Einar spürbar, dass Entwicklung stattgefunden hat.

Das Ergebnis der Entwicklung

  • Einar hört auf mit dem Schuldzuweisen. Als Griff bei der Befreiung des Bären einen Fehler macht, macht er ihr keine Vorwürfe. Er sagt er sinngemäß: „Es ist nicht deine Schuld. Es ist passiert.“
  • Er wird ein liebevoller Großvater, kümmert sich um die Entwicklung seiner Enkelin, gibt ihr einen angemessenen Platz in der Familie.
  • Er steht seiner Schwiegertochter mit vollem Einsatz bei, als sie von ihrem Ex-Freund bedroht wird und sorgt dafür, dass dieser aus der Stadt verschwindet.
  • Er tut etwas zur Sanierung der Familie. Er bietet seiner Schwiegertochter an, auf der Ranch zu wohnen und er bietet Griff eine gute Schule an.

Entwicklungsschritte bei anderen Charakteren

Nicht nur Protagonist, auch bei anderen Charakteren sind Entwicklungsschritte zu beobachten.

  • Griff lernt das Leben auf der Ranch kennen und Verantwortung zu übernehmen, lernt Reiten, Autofahren usw. Sie arbeitet ihre Familiengeschichte auf, wird Mitglied dieser Familie, deckt Familiengeheimnisse auf und sie macht das Leben auf der Ranch lebenswerter, gibt beispielsweise den Tieren einen Namen und sie so unterscheidbar.
  • Jean lernt im Umgang mit Männern. Sie lernt, sich abzugrenzen, löst sich von einem gewalttätigen Partner. Sie hat es schon öfters versucht, aber nie geschafft. Griff sagt zu ihr „Du hast es mir versprochen. Das nächste Mal verlassen wir ihn.“ Und Jean beginnt vorsichtig eine neue Beziehung zu Crane, dem Sheriff der Kleinstadt anzubahnen bzw. zu ermöglichen. Auch sie bearbeitet ein Stück Familiengeschichte und erzählt den Hintergrund, wie es zum Autounfall gekommen ist und wie sie das und die Zeit danach mit ihren Schuldgefühlen erlebt hat.

Entwicklung des Familiensystems

Betrachtet man nicht nur die Einzelpersonen, sondern das ganze Familiensystem, so zeigen sich auch wichtige Entwicklungen.

  • Die Abgetrennten Teile der Familie werden wieder ‚ganz‘
  • Die Familiengeschichte wird aufgearbeitet.
  • Familien-Geheimnisse werden gelüftet.
  • Die Familienmitglieder übernehmen ihre ihnen zustehenden Rollen.

Symbole

Zahlreiche Symbole wirken in diesem Film, z. B.

  • Der Bär als Krafttier, symbolisiert die Urkraft, Urstärke in uns, das ‚Basis-Chakra‘, die ungzähmten Triebe und Wildheit, das Tier in uns, die Lebendigkeit aber auch Freiheit.
  • Die gezähmten Tiere, Katzen, Pferde, der Waschbär symbolisieren die kultivierten Triebe
  • Das ‚Namen-Geben‚: Griff gibt den Tieren Namen. Das symbolisiert Identität, Wertschätzung und Zugehörigkeit
  • getrenntes versus gemeinsames Essen als Symbol für die Qualität der Beziehungen
  • Griff als Kind ist auch ein Symbol für unser inneres Kind, die kindliche spielerische Lebendigkeit und Unbekümmertheit, Offenheit, Ehrlichkeit, Wünsche haben. Das innere unverletzte Kind symbolisiert auch das Urvertrauen, den Teil in mir, der noch an mich glaubt und einen Neubeginn ermöglicht oder erleichtert.
  • Mitch symbolisiert den ‚weisen alten Mann‚, den Mentor, den inneren Steuermann, der weiß wohin die (innere) Reise geht und das Beste aus jeder Situation herausholt.
  • Die Träume von Mitch, die den Weg des Unbewussten zeigen, den Kontakt zum Unbewussten fördern. „Ich habe vom Meer geträumt.“ Wasser ist das Symbol der Gefühle und Emotionen.

Selbstreflexion

  • Wie hat der Film auf mich gewirkt? Welche Szenen sind bei mir besonders in Erinnerung geblieben? Welche Gefühle, Stimmungen sind bei mir hochgekommen? Wurde ich an etwas (aus meiner Vergangenheit oder Gegenwart) erinnert?
  • Welche Themen des Films betreffen auch mich bzw. mein Leben?
  • Wem weise ich Schuld zu? Wem sollte / möchte ich verzeihen / vergeben?
  • Wo ist mein Leben ’stecken geblieben‘, unerfüllt, ‚unfinished‘?
  • Wie sieht mein ‚innere Bär‘ / ‚inneres Tier‘ aus. Ist es in einem Käfig eingeschlossen wie der Bär im Film?
  • Wie ausgeprägt ist mein Freiheitsbedürfnis? Und wie drücke ich es aus / befriedige es?
  1. Kurzbeschreibung in der storyline bei imdb

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