Wie kann ich als Führungskraft Veränderungen initiieren?

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Change-Prozesse sind komplex und in Zeiten wie diesen wichtig und beinahe Alltag.1 2

Change- und Organisations-Entwicklungs-Modelle und -Theorien helfen uns dabei, Change-Prozesse professionell (und theoretisch fundiert) durchzuführen.

Change-Modelle oder: Wie können Sie den Beginn gestalten?

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
aus dem Gedicht: „Stufen“ von Hermann Hesse 3, 4

Veränderungsmodell nach John Kotter: Das Pinguin-Prinzip Hier: Phase 1: 1Wecken Sie ein Gefühl der Dringlichkeit!: Tragen Sie dazu bei, dass andere die Notwendigkeit der Veränderung und die Wichtigkeit sofortigen Handelns erkennen.

Dieser Beitrag handelt davon, wie die erste Phase, die Initiierungs-Phase eines Change-Prozesses gestaltet werden kann und soll.  Was sagen die zentralen Change-Modelle und Konzepte zum Beginn eines Veränderungs-Prozesses?

Kurt Lewin

Beginnen wir mit dem Altvater der Organisations-Entwicklung und Organisations-Psychologie Kurt Lewin. Lewin entwickelte das weithin bekannte Phasenmodell:5

  • Unfreezing (if necessary) the present level
  • Moving to the new level … and
  • Freezing … on the new level“.

Die erste Phase ist hier das Unfreeze, das Auftauen eines sozialen Systems bzw. einer Organisations-Einheit, eines Führungsbereichs, wenn wir es mit der Brille einer Führungskraft betrachten.

John P. Kotter

Das derzeit wahrscheinlich meist verbreitete und bekannteste Change-Ansatz ist jener von John P. Kotter, auch bekannt und popularisiert unter dem  „Pinguin-Prinzip6. Er beschreibt Change in 8 Phasen. Der Beginn ist die Phase: „Establishing a sense of urgency“ (einen Sinn / ein Gefühl der Dringlichkeit entwickeln)7. Aus der Sicht der Führungskraft geht hier also darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Veränderung ansteht, dass sie not-wendig und dringend ist.

Dannemiller und Tyson

Ein anderes Change-Modell stammt von Dannemiller und Tyson.8  Im Zentrum ihres Modells steht die ‚Change-Formel‘, auch „DVF-Formula“ genannt R ‹ D x V x F: Verbal ausgedrückt: Die multiplikative Kraft von Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation (Dissatisfaction), Vision und der Möglichkeit mit ersten Schritten (First Steps) zu beginnen muss größer sein als der Widerstand (Resistance), der von den Betroffen der Änderung entgegengebracht wird. Das ist natürlich keine echte mathematische Formel, sondern ein Symbol für wichtige Zusammenhänge in Change Prozessen. Die multiplikative Verknüpfung in der Formel soll klarmachen, dass die ganze Energie Null ist, wenn einer der Faktoren Null ist bzw. nicht vorhanden ist.9

Der beabsichtigte Wandel misslingt aus dieser Sicht,

  • wenn nichts getan wird, um Unzufriedenheit mit dem Status Quo herzustellen,
  • wenn keine Vision / kein positives Bild entwickelt und vermittelt wird, um klar zumachen, wie die Situation nach dem Change aussehen soll (wie z. B. in vielen Rationalisierungs-Projekten)
  • wenn keine Vorstellungen entwickelt werden, wie ein sinnvoller erster Schritt in Richtung auf die Vision aussehen könnte.

Auch wenn dieses Modell kein Phasenmodell ist10  11  12  13, so ist doch klar, dass es bei der Aktivierung von Dissatisfaction um die erste oder zumindest sehr frühe Phase im Change-Prozess geht.14  15   16

Erfolgsfaktoren zusammengefasst

Eine Zusammenfassung, Weiterentwicklung und Vertiefung der Forschung in Bezug auf Erfolg findet sich in John Adams: Successful Change.17 Er analysierte 31 ’succes stories‘ 18 und kam zu folgenden 12 Erfolgsfaktoren:19

  1. Understanding and acceptance of the need for change
  2. Belief that the change is both desirable and possible
  3. Sufficient passionate commitment: Changing habits
  4. Specific deliverable / goal and a few first steps
  5. Structures or mechanisms that require repetitions of
    the new pattern
  6. Feeling supported and safe
  7. Versatility of mental models
  8. Patience and perseverance
  9. Clear accountability
  10. Explicit “boundary management”—the role of other people
  11. Critical mass in alignment
  12. Rewarding the new behavior & withdrawal of rewards for the old behavior

Die ersten 8 Faktoren beziehen sich auf individuelle und organisatorische Veränderungs-Prozesse, waren sowohl in individuellen als auch organisatorischen Erfolgs-Geschichten vorhanden. Die restlichen beziehen sich nur auf organisatorische Veränderungs-Prozesse.

Interpretation und Konsequenzen: Emotions-Management

Emotions-Management mythologisch: Pallas besänftigt den Kentauren (Pallas and centaur), Botticelli ca 1482, Florenz, Uffizien – Das Bild symboliert die Dualität von Verstand (Pallas) und Gefühlen / Trieben (Kentaur)20
Was ist das Gemeinsame an diesen Modellen für den Beginn eines Change-Prozesses? Es wird klar, dass es am Beginn um einen emotionalen Prozess geht. Den Führungskräften oder der Führungskraft muss es gelingen, die Emotionen und das Bewusstsein der Mitarbeiter bzw. Betroffenen zu erreichen. Es ist zu wenig, bloß rationale Überlegungen anzustellen. Es ist zu wenig, bloß Konzepte zu haben, so gut sie auch sein mögen.  Um das System in Bewegung zu bringen, um es aus den bisher ausgefahrenen Gleisen des Gewohnten herauszubringen ist ein emotionaler Schub notwendig.

Für jede Führungskraft, die sich ‚Leadership‚ auf die Fahnen geschrieben hat, ist dies nichts Neues, ist das etwas Selbstverständliches. Für kühle Manager, die mit rationalen Konzepten arbeiten, ist das eine schlechte Nachricht – umso mehr, als wir von anderen Change-Modellen lernen, dass Emotionen den ganzen Change-Prozess begleiten, oft in sehr starkem Ausmaß. Es wird klar, dass für jeden guten Change-Manager, egal ob Führungskraft oder Berater / Prozess-Begleiter,  emotionale Kompetenz unumgänglich ist. Change-Management ist zu einem guten Teil Emotions-Management21

Konkrete Empfehlungen für die Praxis

Kotter

In seinem Buch „A sense of urgency“22 entwickelt Kotter einige Botschaften und  4 ‚Taktiken‘ für die erste Phase eines Change Projekts.

Die Botschaften:
  • Ein Gefühl der Dringlichkeit zu entwickeln ist am Beginn zentral. Warum? Weil es ohne dieses Gefühl zu keinem Wandel kommen wird. Das kann in einem Umfeld, das stark Veränderungen ausgesetzt ist, für die Organisation fatal sein.
  • Echte versus falsche Dringlichkeit („genuine urgenedy vs. fake urgency): Passivität (complacency: Selbstgefälligkeit, Bequemlichkeit, Selbstzufriedenheit, die Hände in den Schoß legen, ..) ist das Gegenteil von echter Dringlichkeit und kann sehr destruktiv sein.
  • Es gibt eine Strategie und 4 Taktiken, um echte Dringlichkeit zu entwickeln: Als Strategie formuliert Kotter: Versuche, das Bewusstsein und die Herzen der Mitarbeiter_innen / Betroffenen zu gewinnen. D. h.,
    • gibt ihnen die passenden Zahlen, Daten, Fakten
    • erzähle die passenden Geschichten, um ihr Herz zu gewinnen
    • gib ihnen herausfordernde Ziele, die sie anregen und aktivieren
      — um diese Strategie zum Laufen zu bringen, weist Kotter auf 4 Taktiken hin – siehe unten.
  • Dranbleiben: Der Aktivierungslevel für Veränderungen soll aufrechterhalten bleiben. Kurzfristige Erfolge verhindern dies oft, indem sich alle entspannen und zurück lehnen und der Drive verschwindet und in den alten Zustand zurückfällt. Erst wenn es gelingt diesen Aktivierungslevel in die Organisations-Kultur (‚DNA der Organisation‘) zu integrieren, kann er auf Dauer aufrechterhalten werden.
Taktiken

Die vier Taktiken um das Gefühl der Dringlichkeit / den Aktivierungslevel für Veränderungen zu erhöhen:23  24

  • tactic 1: bring the outside in: Die Einstellung „Wir wissen es besser“ verringert die Dringlicheit. Hilf daher den Mitarbeitern, die Organisation von außen zu sehen, aus dem Blickwinkel der Kunden, der Banken, …
  • tactic 2: behave with urgency every day: Die Botschaft lautet: „Walk the talk.“ Integriere die Veränderungsbereitschaft in deinen Arbeitsalltag, lebe und arbeite als Vorbild
  • tactic 3: find opportunity in crises: Sehe Krisen (auf einem mittlerem Level) als Chancen. Benutze sie, um Änderungen zu bewirken und die Einstellung der Mitarbeiter_innen zu ändern.
  • tactic 4: deal with NoNos: Nimm dir die Verhinderer zur Brust, rede mit denen, die aktiv gegen den Wandel und den notwendigen Änderungen opponieren.
Konsequenzen für Führungskräfte
  • Beginne Veränderungsprozesse achtsam und gut überdacht.
  • Bedenke, dass jede Veränderung ein Neu-Beginn ist und am Beginn viele Weichen gestellt werden, die nicht mehr so leicht rückgängig gemacht werden.
  • Werde dir klar, dass es am Anfang vor allem darum geht, die Mitarbeiter im Bewusstsein und im Herzen zu erreichen und anzusprechen. Sonst wird der Change-Prozess vor allem emotional sehr schwer werden. (Beispiele findest du oben: Nutze Krisen, bring die Außensicht zu ihnen, …
  • Informiere die Mitarbeiter_innen (und Führungskräfte) und beteilige sie möglichst früh am Change-Prozess.
  • Plane und gestalte den Change-Prozess professionell durch Weiterbildung  – z. B. auch, indem du weitere passende Blogs liest 🙂
  1.   Dieser Beitrag entstand in Diskussion mit Wolff Roßbach, der sich vor allem mit Change-Prozessen an Schulen beschäftigt
  2.   Ein interessanter IT-unterstützter Change Prozess an einer elementary school findet sich in Robert I. Benjamin and Eliot Levinson: A Framework for Managing IT-Enabled Change 
  3.   Hermann Hesse: Stufen
  4.   vgl. auch den Blog „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
  5.   Kurt Lewin: “Group Decision and Social Change” 
  6.   Vgl. Kotter: Das Pinguin-Prinzip 
  7.   vgl. John P.  Kotter: Leading Change, John P. Kotter: The heart of change. Real life stories of how people change their organization.  
  8.   Vgl.   Dannemiller und Tyson:   Whole-scale change. Unleashing the magic in organizations. vgl. auch: Robert W. Jacobs Real time strategic change: How to involve an entire organization in fast and far-reaching change – Anmerkung: Jacobs hat mit seinen Kolleg_innen bei der Dannemiller Tyson das ursprüngliche Modell zum Modell des ‚Real Time Strategic Change‘ weiterentwickelt, vgl. S. X. Vgl. dazu auch Arena, Michael: Changing the way we change. Ein anschauliches praktisches Beispiel für die Anwendung dieses Ansatzes findet sich in S. Cady, J. Hine, J. Meenach: Collaborative Leadership: Using Large Group Meetings to Cause Rapid Change and Breakthrough Performance. Ein Grobdesign für ein Visions-Workshop auf der Basis findet sich in OPTIMUS-SC: Visions-Workshop. Die Autoren beziehen sich dabei vor allem auf KotterHow to Create a Powerful Vision for Change
  9.   Beckhard fügte den drei Variablen der Formel eine vierte hinzu: Glaubwürdigkeit (believability) – vgl.  Lawrence Loucka: Beckhard’s Change Formula 
  10.   Der Ansatz von  Dannemiller und Tyson ist umfassender als die DVF-Formel und nennt sich „Whole-Scale Change“ – vgl. Dannemiller Tyson Associates: What is Whole-Scale™ Change?  Sie formulieren ihren Ansatz als einen sehr partizipativen, der die Herzen der Betroffenen erreichen will, ähnlich dem klassischen OE-Ansatz, jedoch mit einem Schwerpunkt auf Großgruppen-Interventionen  (vgl. dazu auch die slideshare Präsentation von Sandhya Johnson: Group facilitation: A framework for diagnosing, implementing and evaluating interventions) Die Vertreter des Ansatzes sehen ihre Wurzeln bereits in den Wurzeln der klassischen Organisationsentwicklung, den Forschungen in den National Training Labs – vgl. Kathleen D. Dannemiller and Sylvia L. James: Innovation in  WHOLE-SCALE™ CHANGE: Past, presence and future
  11.   Eine Beschreibung Ihres Ansatzes des ‚Whole-Scale Change‚ formulieren Dannemiller und Tyson auf ihrer Website: „Although each situation is different, the purpose of Whole-Scale™ Change is always the creation of change in organisations, networks and communities that requires the active involvement, energy, ideas and commitment of multiple stakeholders in order to be long lasting, effective and successful. It helps organisations uncover and engage the combined wisdom and the heart of their people to meet the challenges of a changing world.“ wholescalechange – homepage: Changing an organisation from within.
  12.   Deutsche Kurzbeschreibung des Ansatzes von Albert B. Blixt und Sylvia L. James: Whole-Scale™ Change: Die Beschleunigung strategischen Wandels
  13.   Zu weiteren Phasen Modellen vgl. die Darstellungen in  Anthony J Mento; Raymond M Jones; Walter Dirndorfer: A change management process: Grounded in both theory and practice. 
  14.   Ein Toolkit zu diesem Ansatz stammt von Albert B. BlixtWhole-Scale Change Toolkit  
  15.   Eine Weiterentwicklung dieser Modelle  in Bezug auf Nachhaltigkeit und die Berücksichtigung von zirkulären, rekursiven und selbst-bezüglichen Verhältnissen finden sich in Dominik Petersen (u.a.): Den Wandel verändern
  16.   Den Wandel aus der Leadership-Perspektive vgl. Warrick, D. D. &  Müller, Jens: Lessons in Leadership
  17.   John Adams: Successful Change
  18.   ebenda, S. 5
  19.   John Adams: Successful Change , S. 5 ff.
  20.   Die Idee, das Bild (Pallas and centaur) mit Emotions-Management zu verbinden stammt von Raimund Schöll. Eine Interpretation des Werkes findet sich in Linda Proud: Pallas & the Centaur, vgl. dazu auch Susanne Albers: Was hat Lorenzo di Medici mit Zentrauren zu tun???Christopher Muscato: Pallas and the Centaur by Botticelli: Description & Interpretation, Tobias Leuker: Bausteine eines Mythos, S. 238, sowie Christoph Schmälzle: Athena , S. 179 in: Maria Moog-Grünwald (Hrsg.: Mythenrezeption,  
  21.   zum Emotions-Management vgl. z. B. Sabine Lehner: Change leadership: systemtheorie und emotionsmanagement als säulen der führungsarbeit, Raimund Schöll: Emotionen managen, Raimund Schöll: Atmosphärische Intelligenz, Anne M. Schüller: Emotionsmanagement, Alexander Tiffert: Entwicklung und Evaluierung eines Trainingsprogramms zur Schulung von Techniken des Emotionsmanagement: eine Längsschnittstudie im persönlichen Verkauf, Dirk Osmetz: Emotionen managen. Praxisorientierte Literatur zu Emotionsmanagement und Change Management allgemein in Markus Slotta: Literaturempfehlungen. Kritik zum Emotions-Managment findet sich in Arlie Russell HochschildThe Managed Heart: Commercialization of Human Feeling 
  22.   John Kotter: A sense of urgency, Kurzfassung von Kotter in: results.wa.gov:  A Sense of Urgency, vgl. auch changethis: It All Starts With a Sense of Urgency John Kotter – ChangeThis 
  23.   weitere Vorschläge für Taktiken finden sich in Rob Llewellyn: 20 ways to create a sense of urgency  
  24.   Wie verhalten sich Mitarbeiter mit ’sense of urgency‘? – zusammengefasst in: sweetwaterschools : A Sense of Urgency by John P. Kotter 

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